Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Exzession

Exzession

Titel: Exzession Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
sahen aus, als ob sie tätowiert worden
wären. Ihre Rümpfe waren bedeckt von einem verwirrenden
Durcheinander von Mustern über Mustern über Mustern, einem
wilden Toben von Farben, Formen und Strukturen, die ihre Flächen
bis zum letzten Quadratmillimeter ausfüllten. Er hatte das schon
hundertmal gesehen, aber jedesmal faszinierte und verwunderte es ihn
aufs neue.
    Einige Male war er zu einigen der Schiffe hinaufgeschwebt und
hatte ihre Außenhaut berührt, und selbst durch das dicke
Material der Handschuhe seines jahrtausendealten Anzugs hatte er die
aufgerauhte Oberfläche gespürt, die unter der
äußeren Schicht spiralförmig geprägt und
aufgeworfen und verkrustet war. Er hatte genau hingesehen, und dann
noch genauer, und dabei die Lampen des Anzugs und das
Vergrößerungsglas am Visierbildschirm benutzt, um in die
schrille Buntheit vor ihm hineinzuspähen, und er verlor sich in
konzentrischen Schichten von Komplexität und Gestaltung.
Schließlich wandte der Anzug Elektronen an, um die
Oberfläche abzutasten und falsche Farben auf die Flächen
aufzutragen, und trotzdem blieb die Komplexität bestehen, bis
tief hinunter in die atomare Ebene. Er hatte sich durch die Schichten
und Ebenen von abstrakten Mustern, Figuren, Mandalas und Blattmotiven
zurückgezogen, da sein Kopf wegen der extravaganten,
betäubenden Komplexität des Ganzen brummte.
    Gestra Ishmethit erinnerte sich daran,
Bildschirm-Schnappschüsse von Kriegsschiffen gesehen zu haben;
sie hatten jede beliebige Farbe gehabt – meistens vollkommen
schwarz oder vollkommen spiegelnd, sofern sie nicht durch ein
Hologramm dem Blick direkt durch sie hindurch verborgen waren –,
aber er konnte sich nicht erinnern, jemals so seltsame Muster auf
ihnen gesehen zu haben. Er hatte die Archive des Gehirns zu Rate
gezogen. Es stand zweifelsfrei fest, daß die Schiffe ganz
gewöhnliche Fahrzeuge mit schlichten Rümpfen gewesen waren,
als sie hier ankamen. Er fragte das Gehirn, warum die Schiffe auf
diese Weise ausgeschmückt worden seien, indem er die Frage ins
Display seines Terminals schrieb, wie er es immer tat, wenn er
kommunizieren wollte: Warum sehen Schiffe tätowiert
aus?
    Das Gehirn hatte geantwortet: Betrachte es als eine Form der
Bewaffnung, Gestra.
    Das war alles, was er von ihm erfahren konnte.
    Er kam zu dem Schluß, daß ihm nichts anderes
übrigblieb, als sich weiterhin zu wundern.
    Das kleine Feuer sandte zitternde Adern düsteren Lichts in
die hohlen Schatten um die rätselhaften Türme der
verwirrend gemusterten Schiffe. Das einzige Geräusch war sein
Atmen. Er fühlte sich hier wundervoll allein; selbst das Gehirn
konnte mit ihm hier nicht kommunizieren, solange er den Kommunikator
des Anzugs ausgeschaltet ließ. Hier herrschte vollkommene Ruhe,
hier herrschte die totale und absolute Einsamkeit, hier herrschten
Friede und Stille und ein Feuer im Vakuum. Er senkte den Blick wieder
zu der Glut.
    Etwas glitzerte am Boden der Halle, einige Kilometer weit weg.
    Er hatte das Gefühl, daß sein Herz gefror. Das Ding
glitzerte erneut. Was immer es war, es kam näher.
    Er schaltete mit zitternden Händen den Kommunikator des
Anzugs ein.
    Bevor seine flatternden Finger eine Frage an das Gehirn eintippen
konnten, leuchtete das Display an seinem Visierbildschirm auf: Gestra, wir bekommen Besuch. Bitte, kehr in deine Gemächer
zurück.
    Er starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den Text, sein Herz
pochte, seine Gedanken wirbelten herum. Die leuchtenden Buchstaben
blieben da, wo sie waren, und sie ergaben nach wie vor denselben
Sinn; sie wollten einfach nicht verschwinden. Er prüfte
nacheinander jeden einzelnen, suchte nach Fehlern, versuchte
verzweifelt, einen anderen Sinn aus ihnen herauszulesen, aber sie
wiederholten immer wieder denselben Satz, sagten immer wieder
dasselbe aus.
    Besuch, dachte er. Besuch? Besuch? Besuch?
    Seit anderthalb Jahrhunderten empfand er zum erstenmal
Entsetzen.
    Die Drohne, die im Dunkeln geglitzert hatte und die das Gehirn zu
ihm geschickt hatte, weil der Kommunikator ausgeschaltet gewesen war,
mußte den Menschen in seine Gemächer zurücktragen, so
sehr zitterte er. Sie hatte auch den Sauerstoffzylinder aufgehoben
und ihn ausgeschaltet.
    Hinter ihr glühte das Feuer noch einige Sekunden lang schwach
in der Dunkelheit, dann erlag selbst dieses jämmerliche Glimmern
der leeren Kälte und erlosch.

 
5 – Küß Die Klinge
     
     
I
     
    Das Forschungsschiff Ungeschoren Davongekommen der
Fünften Flotte des Stargazer-Clans,

Weitere Kostenlose Bücher