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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Sie alle wissen, seit Anfang Juli die Gleise aus, und jetzt liegen da überall lose Pflastersteine herum. Das könnte ein paar Heißsporne auf dumme Gedanken bringen. Aber ich denke, wir haben die Sache ganz gut im Griff. Ich hab mit einem Kollegen geredet, der hat gemeint, vor dem Landesgericht sind noch einmal zwei- bis dreihundert von uns eingesetzt. Wahrscheinlich werden die Arbeiter einfach beim Burgtheater zum Rathaus einbiegen, dort werden s’ dann eine Weile herumskandieren, der Seitz wird eine gepfefferte Rede halten, so wie immer halt, und das wird’s dann g’wesen sein. Wenn niemand den Kopf verliert, wird weiter nix g’scheh’n.“
    Erleichterung machte sich unter seinen Zuhörern breit. Die Bronstein noch zu unterstreichen wusste: „Hat jemand Spielkarten dabei?“
    Der Lärm nahm zu, und so stieg auch in Bronstein wieder Nervosität hoch. Wagten es die Arbeiter tatsächlich, gegen das Parlament zu ziehen? Er warf die Karten auf den Tisch und sah aus dem Fenster der Wachstube auf den Schmerlingplatz hin, konnte jedoch nichts Genaues erkennen. Wieder beschied er Cerny, auszuharren, und wieder verließ er das Gebäude. Die paar Meter durch den Park waren schnell zurückgelegt, und schon hatte er den Ring erreicht. Entsetzt prallte er zurück.
    Er wähnte sich auf einem Schlachtfeld. Arbeiter traktierten Polizisten mit Latten, Brettern und Eisenstangen, dieweilen die berittene Polizei wie im vorigen Jahrhundert Attacken auf die Demonstranten ritt. Einzelne Demonstranten duckten sich unter den Säbeln der Reiter weg und griffen nach den Steigbügeln,um die Widersacher so aus dem Sattel zu heben. Von seinem Beobachtungsposten beim Rossebändiger sah Bronstein, wie ein Reiter zu Boden fiel. Unmittelbar darauf landete ein Brett direkt im schutzlosen Gesicht des Mannes. Und noch eines. Und ein drittes. Das Gesicht war nur noch eine blutige Masse. Aus dem Getümmel löste sich ein Arbeiter und torkelte auf Bronstein zu. In seiner Miene las er nur Verwunderung und Unverständnis. Dem Demonstranten war ob der ihn umgebenden Gewalt offensichtlich schlecht geworden, denn er hielt sich den Bauch und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Mit letzter Mühe erreichte er Bronstein und krallte sich an dessen Schulter fest. Instinktiv blickte Bronstein nach der Hand, die ihn erfasst hatte und sah, dass sie blutrot war. Der Mann schickte ihm einen letzten fragenden Blick und sackte dann vor ihm zusammen. Jetzt erst vermochte Bronstein zu erkennen, dass ein riesiges Loch im Bauch des Demonstranten klaffte, das nur von einem Polizeisäbel oder einem Bajonett stammen konnte. Der Mann röchelte, hustete gurgelnd Blut und verstarb vor Bronsteins Beinen. Bronstein fühlte sich nur noch mehr an den Krieg erinnert und suchte hinter dem Sockel des Rossebändigers Deckung. Nicht zu spät, wie sich zeigte, denn Sekunden später schlug ein Querschläger genau dort ein, wo Bronstein eben noch gestanden war. Und Bronstein empfand das tiefe Bedürfnis, endlich aus diesem Alptraum zu erwachen, um sich in seinem warmen Bett wiederzufinden.
    Doch es kam noch schlimmer. Die Polizei wich zurück, die Demonstranten rückten nach. Hatte sich der Tumult eben noch auf der Höhe des Athenebrunnens abgespielt, so befand sich die Hauptkampflinie nun schon tatsächlich in unmittelbarer Nähe Bronsteins. Er hatte genug gesehen. Eilig wandte er sich um und hastete durch den Park zurück in den Justizpalast. Erst als er die Tür zur Wachstube durchschritten hatte, wagte er wieder, normal zu atmen.
    „Das wird jetzt eng. Vor dem Parlament spielt es sich mörderisch ab. Vor meinen Füßen ist ein Demonstrant tot umgefallen. Und die Polizei weicht zurück. Wir müssen zuschauen, dass wir hier sicherheitshalber alles verbarrikadieren.“ Die Sätze waren stakkatoartig aus Bronseins Mund gekommen. Einer der Polizisten fragte, ob er damit rechne, dass die Demonstranten hierherkommen würden.
    „Eher nicht“, antwortete Bronstein, immer noch unter dem Eindruck des Geschehenen, „aber sicher ist sicher.“ Schwer ließ er sich auf einen Sessel fallen. „Cerny, veranlassen Sie das Notwendige, bitte.“ Er blies Luft aus und stützte dann seinen Kopf in seine rechte Hand, eine ganze Weile in dieser Pose verharrend. Während Bronstein versuchte, das Gesicht des sterbenden Arbeiters aus seinem Gedächtnis zu löschen, liefen Cerny und der Hausmeister aus der Wachstube, um die Ausgänge zu kontrollieren. Die übrigen sieben Personen versammelten sich

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