Ezzes
Besorgnis,es würde sich alles zur rechten Zeit fügen. Doch konnte er jetzt, da er bald 44 Jahre zählen würde, immer noch solcher Ansicht sein?
Eigentlich war es ihm gar nicht aufgefallen, wie sehr sich sein Leben in die falsche Richtung entwickelt hatte. Vielmehr war er einfach eines Tages aufgewacht und hatte feststellen müssen, dass er allein war. Ohne Freunde, ohne Frau, ohne Familie. Vielleicht hatte er deshalb so oft freiwillig Dienst an Wochenenden und Feiertagen geschoben, weil er sich nicht eingestehen wollte, wie sehr er in sozialer Hinsicht gescheitert war. Seine Eltern waren beide kurz hintereinander gestorben, und Geschwister hatten sich nicht eingestellt. So konnte er nie jemanden besuchen, keine Neffen und Nichten auf den Knien schaukeln, keine Familienfeiern besuchen. Die einzige Verwandtschaft, die er aufzuweisen hatte, wohnte irgendwo im Sowjetreich, in einem Dorf namens Weißenkirchen, in welches der große Krieg sie gespült hatte. Bronstein konnte sich noch gut daran erinnern, wie verwundert er gewesen war, als er vor rund drei Jahren eine Postkarte von seinem Großcousin Ion erhalten hatte, in welcher dieser ihm die Geburt eines Sohnes anzeigte. Der junge Spund, in den Ion große Hoffnungen setzte, hieß David, und Bronstein hatte sich damals sehr geschmeichelt gefühlt, als er der Karte entnahm, man habe das Kind nach ihm benannt, da man ihm noch nicht vergessen habe, was er im Krieg für den ukrainischen Zweig der Familie getan hatte. Bronstein hatte in jenem Sommer 1924 lange nachdenken müssen, was mit dieser Aussage gemeint gewesen sein mochte, doch offenbar waren die paar Kronen, die er Ions Mutter damals aus Lemberg mittels Postanweisung hatte zukommen lassen, für diese wirklich zur rechten Zeit gekommen. Wenigstens, so hatte Bronstein angesichts dieser Karte gedacht, würde sein Name weiterbestehen, wenn er ihn schon nicht selbst weitergeben konnte.
Doch wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, dann musste er sich eingestehen, dass die damals geäußerte Ansicht kokett gewesen war. Und selbst jetzt hoffte er immer noch darauf, eines Tages zu Frau und Kind zu kommen. Mit der Hoffnung war es so eine Sache. Sie widerstritt jeder Logik und war dennoch nicht umzubringen. Sogar zum Tod Verurteilte, deren Gnadengesuch abgelehnt worden war, hofften selbst dann noch auf ein Wunder, wenn sie schon unter dem Galgen standen, auch wenn es völlig einleuchtend war, dass dieses nicht mehr eintreten würde. Und so träumte auch Bronstein weiter davon, eines Tages in den Hafen der Ehe zu finden.
Das würde ihm allerdings nicht gelingen, wenn er sich weiterhin von jungen Dingern den Kopf verdrehen ließ, gestand er sich schließlich ein, während er unverwandt auf das weiße Tuch starrte, das über seinen Küchentisch gespannt war. Sicherlich, eine Stepanek oder eine Gindl waren schön anzusehen und sicher auf jedem Empfang eine wahre Zierde. Doch war er jemals auf einem Empfang gewesen, ja, hatte man ihn je zu einem solchen eingeladen? Wozu also solche Gedanken anstellen? Wenn er absolut ehrlich zu sich selbst war, dann sehnte er sich weder nach der flüchtigen Erotik, die irgendwelche slowakischen Mädeln verhießen, noch nach dem Glanz jugendlicher Anmut. All das war vergänglich, es würde seinen Hunger nach Zweisamkeit nicht stillen. Sicher, von jemandem wie der Stepanek konnte er sogar noch eine ganze Menge lernen, wie sich gezeigt hatte, doch umso weniger würde sich ein solch patentes Frauenzimmer mit einem alten Mann wie ihm abgeben. Außerdem war die Stepanek ja ohnehin verheiratet, fiel ihm wieder ein. Und sie hatte sogar schon zwei Kinder. Und die Gindl war ohnehin viel zu kapriziös, um sich für einen Kieberer zu interessieren.
Wenn er also nicht alleine sterben wollte, dann musste er wahrscheinlich seine Ansprüche hinunterschrauben. Er war jaschließlich auch kein Adonis. Nie gewesen, nicht einmal, als er noch jung war. Genau da hatte ja der Hase im Pfeffer gelegen. Wenn er so ein schneidiger junger Offizier mit prunkvoller Uniform gewesen wäre, er hätte sicher längst Weib und Kind an seiner Seite. So aber hatte er sich schon damals nichts zugetraut und damit die besten Chancen, die sich ihm hätten bieten können, wohl schlicht übersehen und jedenfalls nicht genützt.
„Oh mein Gott“, stöhnte er endlich und schlug die Hände über dem Gesicht zusammen. Was sollte er nur tun? Unwillkürlich dachte er an Essen, doch genau da lag sein zweites Problem. Wenn er weiter so den
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