Ezzes
Züge machte und sie viel zu schnell wieder ausdämpfte. Auf diese Weise, so hoffte er, würde er den Eindruck erwecken, schon eine Weile in Amt und Würden zu sein. Tatsächlich kam Pokorny, kaum dass sich Bronstein eine weitere Zigarette in den Mund gesteckt hatte, in den Raum. „Schon da?“
„Wie du siehst, schon länger, zweite Zigarette, aber noch kein Kaffee.“
„Na ja“, zuckte Pokorny mit den Schultern, „dann werde ich uns einmal einen solchen organisieren.“ Sprach’s und verschwand Richtung Kochnische. Er würde, wusste Bronstein aus Erfahrung, etwa zehn Minuten weg sein. Bronstein atmete erleichtert durch und ließ seinen Körper in sich zusammensacken. Was für ein Morgen!
„Gibt’s irgendetwas Neues?“, fragte er Pokorny schließlich, während sie beide die heiße Brühe in kleinen Schlucken zu sich nahmen. Pokorny schien einen Augenblick lang zu überlegen, dann schüttelte er den Kopf. „Dieser Guschlbauer ist ein Buch mit sieben Siegeln. Die reinste Sphinx. Über den wissen wir gar nichts. So, als ob er gar nie existiert hätte.“
Pokorny machte eine Kunstpause, und Bronstein ahnte, was kommen würde. „Das erinnert mich an den Fall Ludwig anno 1888. Kannst du dich an den …“
„Damals war ich fünf Jahre“, unterbrach ihn Bronstein mit gequältem Unterton, was er sofort bedauerte, da er nun unmöglich der ausführlichsten Variante dieser Geschichte entgehen konnte.
„Na dann, der Ludwig war ein Zeilenschinder bei irgendso einem Boulevardblatt. Schrieb ganz seriöse Artikel, wenn michnicht alles täuscht, aber er hatte dunkle Geheimnisse. Man raunte, er verkehre in zwielichtigen Lokalen und pflege dort abartige Dinge zu tun. Von hinten und so. Aber schon mit Damen. Kein Sodomit, weißt, eher so wie die Griechen. Na, auch egal, jedenfalls war der Ludwig von heute auf morgen verschwunden. Niemand wusste, wo er steckte. In seiner Redaktion hatten sie keine Ahnung, seine Vermieterin war ratlos, und selbst seine Geliebte konnte uns nicht weiterhelfen. Der Mann war wie vom Erdboden verschluckt. Keine Spur, nichts.“
Pokorny nahm einen Schluck Kaffee und hing offenbar seinen Gedanken nach. Bronsteins Ungeduld wuchs. „Und weiter“, sagte er schließlich unwirsch.
„Nichts weiter. Er ist, glaube ich, nie wieder aufgetaucht. Weiß der Himmel, was aus dem geworden ist.“
„Aha“, replizierte Bronstein resigniert, „und warum erinnert dich das dann an die Sache Guschlbauer?“
„Na ja“, Pokorny zuckte mit den Schultern, „da wissen wir auch nichts.“ Bronstein schickte einen gottergebenen Blick in den Himmel: sancta simplicitas.
„Weißt was“, meinte Bronstein und stellte geräuschvoll die Kaffeetasse auf den Schreibtisch, „irgendwer muss den Mann doch gekannt haben. Wenn wir schon über seine letzten Tage nichts herausfinden, dann entdecken wir vielleicht etwas in seiner Vergangenheit. Ich mach mich auf die Suche nach dem Feinkost Wawra und geh dann zum Fleischhacker in der Paniglgasse.“
„Wennst meinst“, Pokorny blieb gleichmütig und linste desinteressiert in seinen Kaffee.
Bronstein spürte ernsthaften Ärger in sich aufsteigen und befand, es war besser, er ging sofort, sonst würde er noch etwas sagen, das er vielleicht später bedauerte.
Die Paniglgasse war die attraktivere Adresse. Einerseits wusste Bronstein, wohin er sich begeben musste, andererseitsstanden die Chancen besser, dass sich dort jemand an den Guschlbauer erinnern würde. Kurz vor zehn Uhr vormittags betrat er das Geschäft, in dem ein stiernackiger Mann seines Alters stand, mit bereits schütter werdendem blondem Haupthaar und einem seehundartigen Schnurrbart. „Habe d’Ehre, der Herr“, grüßte der Hüne mit erstaunlich hoher Stimme, „womit kann ich dienen?“
„Mit einer Information.“
„Ujegerl, de is’ heit leider scho aus. Derf’s vielleicht was anderes sein?“ Bronstein zückte seine Marke und hielt sie dem Fleischer unter die Nase: „Vielleicht ist ja doch noch ein wenig davon vorrätig.“
Der Fleischer schluckte: „Na servas, des hob i braucht. Was wollen S’ denn?“
„Sagt Ihnen der Name Guschlbauer was?“
Der Fleischer brauchte nicht lange zu überlegen: „Klar. Der Greißler, den was abkragelt haben vor drei Tag’. Jetzt weiß ich auch, was S’ von mir wollen. Ja, der hat bei mir als G’sell g’arbeitet. Gute zehn Jahre bis zum Krieg, und dann noch einmal bis vor rund fünf Jahr’. Sakra, a unguater Bazi. I war froh, wie i eam losworden bin.
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