Ezzes
weckte. Abermals wusste er zunächst nicht, wie lange er geschlafen hatte, doch der Sonne nach zu urteilen, musste es wohl schon 6 Uhr abends sein. Mit einem Blick auf seine Uhr verifizierte er diese These, und so zog er sich rasch um, ehe er in neuer Garderobe in Richtung Restaurant entschwand.
Nachdem er an der Bar einen kleinen Aperitif zu sich genommen hatte, ließ sich Bronstein einen Tisch anweisen und nahm nur wenig später die Speisekarte entgegen. Nach kurzem Überlegen entschied er sich für eine Gänselebersuppe sowie für einen Tafelspitz mit Erdäpfeln und Apfelkren. Dazu bestellte er eine kleine Flasche Gewürztraminer. Er zündete sich eine Zigarette an und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Zu dieser Zeit waren die Gäste noch relativ rar gesät, doch ein älterer Herr in Begleitung einer bemerkenswert hübschen jungen Dame fiel ihm sofort auf. Dass dieser sein Gegenüber mit „mein Kind“ anredete, mochte noch nichts besagen, doch dass sie mit „Papa“ antwortete, machte die Angelegenheit klar: Hier war ein Vater mit seiner Tochter auf Sommerfrische. Erneut bedauerte Bronstein, nicht zwei Jahrzehnte jünger zu sein, doch tröstete ihn alsogleich die Erkenntnis, dass ihm dies in einer solchen Situation auch nicht geholfen hätte. Es wäre schlicht unverschämt, sich einem fremden Tisch ohne ausgewiesenen Grund zu nähern. Und ein solcher Grund ließe sich wohl nur schwerlich finden. Da hatten es die Reisenden früherer Tage fraglos leichter. Damals gab es den table d’ hôte, und so saß man automatisch am selben Tisch, weshalb sich eine gepflegte Konversation ohne sonderliche Hindernisse leicht beginnen ließ. Heutzutage blieb jeder für sich, und es bedurfte mannigfacher Kniffe, um mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Aber, so gestand sich Bronstein schmunzelnd ein, für diese märchenhafte Elfe war er ohnehin viel zu alt, sodass es wohl besser war, dass die Etikette ihm jedwede Aufdringlichkeit verbat.
Erleichtert wandte er sich also der eben servierten Suppe zu, und er hätte an die beiden Gäste vielleicht gar nicht mehr gedacht, wären da nicht plötzlich lauter werdende Stimmen von deren Tisch zu ihm gedrungen. Er sah auf und erkannte, dass da offenbar tatsächlich jemand unverschämt gewesen war. Ein Mann von etwa Mitte zwanzig suchte die Nähe der Schönen, was auf wenig Gegenliebe des Vaters stieß. Wiewohl überdeutlich zu erkennen war, dass der Vater keinen Wert auf die Gesellschaft des jungen Mannes legte, setzte sich dieser einfach hin und begann, auf die junge Dame einzureden, die darob nicht minder empört war als ihr Vater. Dieser sah sich hilfesuchend nach einem Kellner um, während der dreiste Jüngling Anstalten machte, nach der Hand der Tochter zu greifen. Bronstein legte den Löffel beiseite, tupfte den Mund kurz mit der Serviette ab und erhob sich. Er ging die wenigen Schritte zu dem besagten Tisch, verbeugte sich andeutungsweise vor dem Herrn Papa und richtete sein Augenmerk dann auf den jungen Stutzer.
„Es mag Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, junger Herr, aber Ihre Gegenwart scheint an diesem Tisch wenig erwünscht zu sein.“
„Wat jeht dik det an, Opa?“, schnauzte der so Angesprochene in breitem Berlinerisch zurück.
Unwillkürlich zückte Bronstein seine Marke und hielt sie dem Preußen unter die Nase: „Vü, also schmier’ o, Marmeladinger.“ Das überlegene Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Deutschen. Mit drohender Miene erhob er sich langsam: „Willste da mit dei’m Blech den Affen machen, oder wa? Det kannste varjessen, Bulle, Typen wie dir lass ick im Vorüberjehn die Luft raus, verstehste?!“
Bronstein tat, als holte er mit der Rechten aus, während er blitzschnell sein Knie nach vorn schnellen ließ, das unausweichlich in den Schamteilen seines Gegenübers landete. Der rangeinen Augenblick nach Luft, griff sich dann mit beiden Händen an seine Genitalien und plumpste schwer auf den Sessel zurück. Bronstein beugte sich zu ihm hinunter und zischte: „Und jetzt kannst abmarkieren, oder i ban’l di aus, host mi?“
Der Berliner verstand sichtlich kein Wort, doch die prinzipielle Botschaft dieser Aussage war zu ihm durchgedrungen. Mühsam erhob er sich und watschelte in merkwürdiger Haltung aus dem Saal. Bronstein verbeugte sich nun nochmals in die Richtung der beiden Gäste und stellte sich vor: „Gestatten, Oberstleutnant David Bronstein von der Wiener Polizei. Hier zur Sommerfrische. Ich hoffe, mein Verhalten war in Ihrem
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