Ezzes
er selbst eben das Rennen gewonnen, stolzierte Bronstein wenig später zum Wettbüro zurück. Am liebsten hätte er getanzt, denn auch „Indra“ hatte ihn nicht im Stich gelassen. Mit breitem Grinsen hielt er dem Schalterbeamten seine beiden Wettscheine hin, der ihm daraufhin neun Schillingmünzen auf die Hand zählte. Bronstein fühlte sich wie ein General nach einer siegreichen Schlacht. Er war Krösus, was kostete die Welt?
Bronstein verstaute das Geld in seinem Portemonnaie, dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und schlenderte pfeifend aus dem Areal. Er hielt auf den Badener Hauptplatz zu und überlegte bereits, wo er einkehren würde. Jedenfalls dort, wo es ein Surschnitzel gab.
In der Beethovengasse wurde er fündig. Er zog sich in das kleine Lokal an einen Tisch zurück, gab seine Bestellung ab und war so rundum mit sich und der Welt zufrieden. An den Fall Guschlbauer musste er keine einzige Sekunde denken. Nur daran, dass am nächsten Tag auch noch seine Sommerfrische am Semmering beginnen würde, sodass er sich mit gutem Gewissen ein zweites Viertel genehmigen konnte. Das Essenmundete ihm hervorragend, der Wein war bemerkenswert gut, und die Welt, ja, die Welt war schön. Er war so zufrieden mit dem Tag, dass er sogar dem Brotschani ein stattliches Trinkgeld gab. Diese armen Knaben, dachte Bronstein, die sich nach der Schule bis spät abends in irgendwelchen Kneipen verdingen mussten, um die paar Groschen nach Hause tragen zu können, die für sie abfielen, wenn sie mit einem Körbchen voller Gebäck stundenlang durch die Gaststube defilierten, in der Hoffnung, irgendjemand würde zu einem Mahl auch eine Semmel oder ein Stück Brot wünschen, waren wirklich nicht zu beneiden. Ihr Leben war hart genug. Sie stammten samt und sonders aus armen Familien, die kaum genug Geld verdienten, um sich eine Unterkunft leisten zu können, weshalb die Kinder zum frühestmöglichen Zeitpunkt zum Einkommen beitragen mussten. Zumeist trugen sie vor der Schule Milch oder Zeitungen aus, kamen dann schon erschöpft in den Unterricht und mussten danach schlecht bezahlte Arbeiten wie eben jene eines „Brotschani“ annehmen, bei welcher der Knabe gleichsam das Gebäck beim Wirten in Kommission erwarb, um sodann danach zu trachten, es bei der Kundschaft des Wirten wieder loszuschlagen. Dieser Brothandel sorgte bestenfalls für ein karges Brot, dachte Bronstein mitfühlend. Ihm hatte an jenem Nachmittag das Glück hold gelächelt, ein klein wenig davon konnte da ruhig für den blassen Jungen abfallen, der die ganze Zeit über schüchtern sein Backwerk angeboten hatte. Wenigstens an diesem Tag, so war Bronstein überzeugt, hatte sich die Mühe für den Burschen gelohnt, sodass er nicht nur hundemüde, sondern auch einigermaßen zufrieden in sein Bett fallen würde.
Es dunkelte bereits, als sich Bronstein, betört vom Wein und von den Heurigenliedern, unsicheren Schritts zurück zur Station der Badner Bahn machte. Solange es die Lichtverhältnisse noch zuließen, hielt er während der Fahrt seinen Blick auf dievorüberziehende Landschaft gerichtet, dann döste er ein wenig, ehe er bei der Station nahe dem Palais Rainer ausstieg. Er querte den Phorusplatz, ging die paar Schritte den Mittersteig entlang, ehe er in die Schloßgasse einbiegen konnte. Dort kramte er nach seinen Schlüsseln, öffnete das Haustor und begann den mühsamen Aufstieg in den vierten Stock. Nachdem er hinter sich die Wohnungstür geschlossen und den Schlüssel innen ins Schloss gesteckt hatte, begab er sich in die Küche, wo er sich noch einen Cognac einschenkte, den er dann, während er eine weitere Zigarette rauchte, in kleinen Schlucken trank. Zuvor hatte er noch Wagners „Ritt der Walküren“ auf den Plattenteller gelegt, und mit dieser Musik im Ohr rüstete er sich zur Nacht. Zufrieden, wie er war, schlief er recht bald ein.
IV. Sonntag, 10. Juli 1927
Bronstein fühlte sich so leicht wie eine Feder, als er am frühen Morgen aus dem Bett sprang, und er wusste auch, warum. Es war Sonntag, endlich war er wieder sein eigener Herr. Vor allem aber war dies ein besonderer Sonntag, denn mit diesem Tag begann ein dreitägiger Urlaub am Semmering. Schon vor zwei Wochen hatte er ein Zimmer im „Panhans“ gebucht, das endlich einmal auch für ihn erschwinglich geworden war. Einmal ausspannen und auf andere Gedanken kommen, das konnte gar nicht verkehrt sein! Er würde durch die rauschenden Wälder spazieren, sich an der atemberaubenden Aussicht
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