Ezzes
Weg zur Straßenbahn ein. Gegenüber befand sich eine kleine Schankstube, und Bronstein schlug vor, sich vor der Fahrt ins Präsidium noch zu stärken. Einer solchen Idee wollte Pokorny sich nicht verschließen. Es wäre allerdings nicht Pokorny gewesen, wenn er nicht auch aus einer solchen Situation noch ein Theaterstück in fünf Akten gemacht hätte. „Do muaß i oba z’erst amoi noch Taschlowitz, damit i waaß, ob i ma des leist’n kann.“
Wie auch bei Bronstein bestand das Taschlowitz von Pokorny aus Unter- und Ober-Taschlowitz. Unter-Taschlowitz hatte dabei wie erwartet weit mehr Einwohner, denn Münzen waren stets häufiger als Geldscheine. Nach einer kurzen Volkszählung kam Pokorny zu dem Schluss, sich ein Gläschen Wein leistenzu können, und so überquerten sie die Straße und ließen sich ob des schönen Wetters im Schanigarten des Lokals nieder.
Während sie auf den Wirten warteten, sah sich Bronstein um. Simmering war irgendwie immer noch eine eigene Welt. Nur hier konnte es noch geschehen, dass irgendwelche Kleinhändler und Hausierer mit dem Panjewagen durch die Straßen zogen, sogar Scherenschleifer, Zwiebelkroaten und Rastlbinder mochte es hier noch geben. Und doch war die neue Zeit auch hier nicht aufzuhalten. Am anderen Ende der Straße begannen die Industrieanlagen. Sechzehn Schornsteine stützten dort den Himmel über der Siedlung, höher aufragend als die höchsten Türme ringsum, sechzehn Fabrikschlote in einer Reihe, staubgrau und steil. Bronstein konnte sich gut vorstellen, wie viel Natur diesem Fortschritt geopfert worden war. Doch das war die Losung von heute, wusste er. Ein Baum, was ist das schon, ein Stamm, Blätter, Wurzeln, Käferchen in der Rinde und eine manierlich ausgebildete Krone, wenn’s hoch kommt, na und? Und das Gras, dieses saftige, weiche, üppige Gras. Wer brauchte das heutzutage noch? Und dennoch, hier herrschte immer noch ein Hauch von alten Tagen. Das Vergangene war nicht tot, es war nicht einmal vergangen in diesem Teil der Stadt. Hier fühlten sich die Wanderhändler noch wohl, auch wenn sie wahrscheinlich auch hier immer seltener wurden. In diesem Jahr war der Zigeuner spät gekommen, mochten sich die Einwohner denken, wenn die Pausen zwischen den einzelnen Touren der Hausierer länger und länger wurden. Doch die dörfliche Struktur hielt dem Ansturm der neuen Zeit noch stand. Wie lange noch, vermochte freilich niemand zu sagen.
Endlich kam der Wirt herbei und nahm die Bestellung entgegen. Bronstein zündete sich schon wieder eine Zigarette an und stellte fest, dass er allmählich rauchte wie ein alter Schlot. Um sich von diesem Gedanken abzulenken, fragte er Pokorny, was dieser von der Guschlbauer-Sache hielt. EineinhalbZigaretten später fand Bronstein, er habe genug für seine vorschnelle Frage gebüßt, und gebot Pokornys Anekdotenflut entschlossen Einhalt. „Lieber Pokorny, mich interessiert grad überhaupt ned, bei welcher Remasuri du waun dabei warst. Ehrlich, Pokorny, es pressiert. Wenn wir ned bald a Lösung zu dem Fall da haben, dann samma petschiert. Aber ordentlich. Und des waaßt du genau so guat wia i.“
„Hörst, Oberst, du bist echt a fade Nockn! Nur weil der alte Schober an Grant auf di hat, bist rapplert wia a Türk. Des regardiert mi doch goa ned, wos de oide Zwiderwurzn sogt. Mir wer’n den Fall scho lösen, oiso moch aus an Beisl ka Baustell ned und beruhig’ di wieder.“
„Du host leicht reden, Pokorny, du gehst nächstes Jahr in Pension. Dir hängen s’ garantiert nix mehr an. Aber i? I bin 44. Glaubst, i wü bis an mei Lebensend’ a Geherda sei für irgendwelche Oberg’scheiten? Also plausch ned, Pepperl, sondern sog ma lieber, wer den Guschlbauer g’macht hat.“
Pokorny seufzte: „Ja, da hat’s sei Nisi. Wenn wir des wisserten, dann war ma hochweiß. Aber so? … Apropos, Oberst, hast no an Span für mi?“ Resignierend schob Bronstein ihm die Packung hin. Pokorny zündete sich umständlich eine Zigarette an, zog an ihr, blies dann auf die Glut und machte abermals einen Zug. „So a Schas, die brennt ned richtig. Jetzt hab i an Jud.“
Irritiert sah Bronstein auf: „Was sagst du da?“
„Tschuldigung, Oberst, war ned so g’meint. Waaßt eh, zu an Tschick, der nur halbert brennt, sagt ma hoid Jud. I hab mir des ned ausdenkt. Und du waaßt ah, wie wurscht mir is, wos aner is, oiso nimm’s bitte ned persönlich.“
Nun seufzte Bronstein. „Is scho recht. Aber du organisierst heut no die Bahnkarten für Wels.
Weitere Kostenlose Bücher