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Ezzes

Ezzes

Titel: Ezzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Kommunismus aufbauen helfe. Sie lebe in einer Stadt namens Engels, wo es eine starke deutschsprachige Minderheit gebe, deren Zeitschrift sie redigiere. Wie optimistisch hatten diese Zeilen damals geklungen! Es sei in der Sowjetunion so gänzlich anders als in dem reaktionären und verzopften Österreich. Im Arbeiter- und Bauernstaat herrsche wahrhafte Demokratie, man habe mit den alten Eliten ein für alle Mal Schluss gemacht, nur mehr der Mensch zähle und nicht, woher er komme. Die Wirtschaft diene den Bedürfnissen des Volkes und nicht umgekehrt, es gebe keine verlogenen Phrasen irgendwelcher windiger Politiker, die in Wirklichkeit nur die Diener des Kapitals seien, nach außen aber so täten, als verträten sie die Interessen ihrer Wähler. Hier herrsche wirkliche Freiheit, und niemand sei mehr jemandes Untertan. Das, und noch viel mehr hatte sie ihm damals geschrieben, und so war er doch einigermaßen verwundert, sie hier in Wien zu sehen, wo sie offenbar schon länger lebte.
    „Seit wann bist du denn wieder da?“, fragte er schließlich.
    „Seit eineinhalb Jahren“, entgegnete sie knapp, während sie Kaffee einschenkte.
    „War in der SU doch nicht alles so rosig?“
    „Weißt du, als Lenin starb, da begann irgendwie alles in die falsche Richtung zu laufen. Anfang 25 haben sie Trotzkikaltgestellt, und auf einmal war die Partei mehr auf der Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen als geeint im Kampf gegen die Ausbeuterklasse. Mit einem Mal musste man jede Wortmeldung mit einer Verurteilung des Trotzkismus beginnen, und, weißt, das war nichts mehr für mich. Ich hab mich dann erkundigt, ob meine österreichische Staatsbürgerschaft noch gilt und ob hier noch etwas gegen mich vorliegt, und es hat sich herausgestellt, dass die gar nie nach mir gesucht haben. Na, und so bin ich eines Tages einfach in den Zug gestiegen und Richtung Westen gefahren. Das war schon ein ganz eigenes Gefühl. Je weiter wir nach Westen fuhren, desto stärker glühte es rot und gold in den Buchenwäldern. Es ist mir gelungen, über die Grenze in die Tschechoslowakei zu gelangen. Ich habe dann bei Freunden in Uschgorod überwintert und bin im Jänner 1926 nach Pressburg gefahren. Dort stieg ich dann in die Tramway ein, und du kannst dir nicht vorstellen, wie ich gezittert hab, als wir uns Österreich genähert haben. In Engerau war Passkontrolle, und ich hab ja kein Visum g’habt und nix. Aber die Zollwachter haben offenbar gedacht, ich war einfach nur einkaufen oder so, und haben mich anstandslos passieren lassen. Und so war ich mit einem Mal wieder in Wien. Ich hab gar ned g’wusst, was ich da jetzt anfangen soll, aber dann ist der Tomann kommen und hat mir einen Posten bei der Roten Fahne angeboten. Na, und das mach ich jetzt seit eineinhalb Jahren. Es ist nicht glorreich, aber es zahlt die Miete, und ich hab nicht das Gefühl, sinnlos meine Zeit zu vergeuden. Obwohl, wenn ich ehrlich bin, ich weiß nicht, ob das überhaupt noch meine Partei ist. Vorigen Monat hatten wir Parteitag, und da ist der Tomann grad noch Kandidat des ZK worden. Der Koritschoner und der Strasser sind schon längst weg, und den Frey haben s’ ausg’schlossen wegen Trotzkismus. Mit die neuen Spitzen, mit dem Fiala, dem Honner, dem Koplenig, mit denen tu’ ich mir ned grad leicht. Irgendwie …“ Jelka griffnach Bronsteins Hand und drückte sie schweigend. Bronstein war gerührt, wie sehr sie ihm offenbar immer noch vertraute. Obwohl sie sich acht Jahre nicht gesehen hatten, schien es, als wäre sie nur kurz weg gewesen. Unsicher führte er seine zweite Hand zu seiner ersten und tätschelte Jelka sanft. Dabei sahen sie sich für einen Moment tief in die Augen.
    „Aber trotzdem“, sagte sie dann trotzig, „bei uns ist es immer noch besser als mit dieser verlogenen Republik da. Dass euch nicht graust bei all diese Seipels und Renners und Bauers und Vaugoins, das sind doch alle so austauschbare Nullen, die das Blaue vom Himmel reden, wenn’s Wahlen gibt, und danach mit dem angeblichen politischen Gegner zum Heurigen gehen, wo sie sich scheckig lachen über die Trottel, die ihnen wieder auf den Leim gegangen sind.“
    Bronstein machte eine abwehrende Geste: „Also so einfach ist die Sache auch wieder nicht. Es ist doch allgemein bekannt, dass zum Beispiel grad der Seipel mit dem Bauer überhaupt net kann. Die würden nie eine Koalition eingehen, sage ich dir. Und dass die Sozi was verbessern wollen, das beweisen s’ doch grad da in Wien, meinst

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