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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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höre Gehupe und Motoren, und dann ist da ein Zischen: Ich glaube, er lacht.
    «Ich hatte meiner Sekretärin gesagt, sie soll dich anrufen, aber sie hat … Stell dir vor, sie hat Martin angerufen!»
    «Martin!»
    «Wir waren mittagessen. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, warum.»
    Ich erkundige mich nach seinen Geschäften, wie immer antwortet er ausweichend. Etwas ist nicht in Ordnung, er würde mir gern eine Frage stellen, aber er bringt es nicht über sich. Stattdessen erkundigt er sich nach meiner Arbeit, und obwohl sie ihn nicht interessiert, sage ich, dass man die Auktionshäuser im Auge behalten und die Preise kontrollieren muss. Er unterbricht mich auch sofort und fragt nach unserer Mutter, das leidige Thema, aber ich hake weiter nach.
    «Irgendwas ist mit dir. Ich merke das. Du kannst es leugnen, aber –»
    «Muss jetzt aufhören!»
    «Eric, du kannst mir alles –»
    «Alles in Ordnung, wirklich, muss jetzt aufhören.»
    Schon hat er aufgelegt. Es ist seltsam, mit Eric zu reden, beinahe ein Selbstgespräch, und plötzlich wird mir wieder klar, warum ich ihn seit einiger Zeit meide. Es fällt schwer, vor ihm ein Geheimnis zu bewahren, er durchschaut mich, wie ich ihn durchschaue, und ich könnte nicht sicher sein, dass er es für sich behalten würde. Die alte Regel: Ein Geheimnis bleibt nur dann eines, wenn wirklich niemand davon weiß. Hält man sich daran, ist es nicht so schwer zu bewahren, wie die Leute meinen. Man kann jemanden fast so gut kennen wie sich selbst, und man liest doch nicht seine Gedanken.
    Das Gespräch mit Eric hat mich daran erinnert, dass ich unsere Mutter anrufen muss. Drei Nachrichten hat sie mir hinterlassen, da hilft nichts. Zögernd wähle ich ihre Nummer.
    «Na endlich!», ruft sie.
    «Ich hatte zu tun. Entschuldige.»
    «Du hattest zu tun?»
    «Ja, es fällt viel Arbeit an.»
    «Mit deinen Bildern.»
    «Ja, mit den Bildern!»
    «Essen gehen.»
    «Das gehört dazu. Besprechungen.»
    «Besprechungen?»
    «Was soll der Unterton?»
    «Ich freue mich, dass du einen interessanten Beruf hast. Offenbar ernährt er dich ja. In jeder Hinsicht.»
    «Was wolltest du eigentlich von mir?»
    «Das Grundstück vor meinem Haus. Du weißt ja, das große, das von meinem Zaun bis zum Ende des Abhangs reicht, mit den vielen Birken. Es steht zum Verkauf.»
    «So.»
    «Stell dir vor, da könnte jemand bauen. Denn warum sonst sollte es jemand kaufen! Wer immer es kauft, wird doch bauen wollen.»
    «Vermutlich.»
    «Und meine Aussicht? Ich meine, unsere? Ihr werdet das Haus erben, dann ist die Aussicht auch für euch wichtig. Selbst wenn ihr es verkaufen solltet. Ihr werdet es ja verkaufen, keiner von euch wird hier wohnen wollen, nehme ich an.»
    «Aber das dauert noch.»
    «Hör auf damit.»
    «Womit soll ich aufhören?»
    «Ich wollte vorschlagen, dass du das Grundstück kaufst, bevor jemand anders zuschlägt und es bebaut. Damit erhältst du den Wert unseres Hauses. Es ist auch eine gute Investition.»
    «Wieso ist es eine gute Investition, wenn ich nichts bauen soll?»
    «Tu nicht so, als ob du etwas von Geschäften verstehst, du bist … Na, was auch immer du bist.»
    «Ich bin jemand, der weiß, dass ein Grundstück, auf dem man nichts bauen soll, keine gute Investition ist.»
    «Du könntest Getreide darauf anbauen.»
    «Was soll ich mit Getreide?»
    «Raps oder so etwas.»
    «Ich weiß nicht einmal, was das ist!»
    «Damit können Autos fahren.»
    «Sprich mit Eric darüber. Er hat Geld, und vom Investieren versteht er viel mehr.»
    «Aber ich habe dich gefragt.»
    «Sprich mit Eric, Mutter. Ich habe jetzt zu tun.»
    «Mittagessen?»
    «Sprich mit Eric.»
    Sie legt auf, und ich mache mich auf den Weg. Die Treppe hinunter, quer über den von der Sonne aufgeheizten Platz, zum Eingang der U-Bahn. Die Rolltreppe trägt mich ins kühle Zwielicht des Schachts.
    Der Zug fährt sofort ein, der Waggon ist halb leer. Ich setze mich.
    «Friedland!»
    Ich sehe auf. Neben mir steht, die Hand am Haltegriff, der Kunstkritiker der Abendnachrichten .
    «Sie hier?», ruft er. «Sie?»
    Ich zucke mit den Achseln.
    «Das gibt es ja nicht!»
    Ich lächle. Hauptsache, er setzt sich nicht zu mir.
    Er schlägt mir auf die Schulter. «Ist hier noch frei?»

    Er hieß Willem und war ein flämischer Kunststudent, genialisch, laut, liebenswürdig, aufbrausend und leider nicht sehr begabt. Als Verehrer von Nicolas de Staël malte er abstrakt, was ich ihm vorwarf, ich nannte es feige und epigonal, weil ich Realist

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