F (German Edition)
nichts passiert ist, dass mir bloß alles zu viel wird. Ich will antworten, dass ich nicht mehr herausfinde. Aber ich sage nur: «War ein schwerer Tag.» Und während ich sie ansehe, wird mir klar, dass ich gar nicht bei ihr sein möchte. Ich will nach Hause.
«Ich wollte bei dir sein», sage ich.
Sie kommt näher, ich stehe auf und bringe es fertig, alles zu tun, was nötig ist. Meine Hände finden dorthin, wo sie sein sollen, meine Bewegungen sind die richtigen, und es gelingt mir sogar, ein wenig Freude darüber zu empfinden, dass sie das hier so sehr will und weich ist und gut riecht und mich vielleicht sogar ein wenig liebt.
«Ich dich auch», flüstert sie, und ich frage mich, was ich jetzt schon wieder gesagt habe.
Danach liege ich wach, höre ihrem Atem zu und blicke zur dunklen Fläche der Zimmerdecke auf. Ich darf nicht einschlafen, ich muss zu Hause sein, bevor der Morgen anbricht und Laura mir ihren Traum erzählt.
Lautlos stehe ich auf und ziehe mich an. Sibylle erwacht nicht. Auf Zehenspitzen schleiche ich aus dem Zimmer.
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Von der Schönheit
H aben Sie Carrières neue Ausstellung gesehen?»
«Ja, und ich bin etwas ratlos.»
«Ach.»
«Man sagt, er befragt unsere Sehgewohnheiten. Er sagt das ja auch selbst. In jedem Kunstmagazin sagt er das zurzeit. Aber im Grunde läuft es bei ihm auf die Erkenntnis hinaus, dass Bilder nur Bilder sind und nicht die Wirklichkeit. Auf die ist er stolz wie ein Kind, das entdeckt hat, dass es keine Osterhasen gibt.»
«Das ist böse.»
«Aber ich schätze ihn sehr.»
«Und das erst recht.»
Wir lächeln beide. Die Situation ist kompliziert. Es geht in meinem Beruf nicht bloß darum, Bilder zu verkaufen, es müssen auch die richtigen Käufer sein. Natürlich muss ich Eliza davon überzeugen, dass ihre Sammlung einen weiteren Eulenböck braucht, aber zugleich muss Eliza mich davon überzeugen, dass ihre Sammlung der richtige Ort für Eulenböck ist. Es werden nicht mehr viele Eulenböcks auf den Markt kommen, inzwischen interessieren sich die öffentlichen Museen für ihn, die zwar weniger bezahlen, aber das Renommee eines Künstlers enorm steigern können, was wiederum dazu führt, dass die Auktionspreise auf dem Sekundärmarkt in die Höhe schnellen. Man muss vorsichtig sein: Steigen die Preise zu schnell, fallen sie auch bald wieder, worauf es in den Magazinen heißt, der Markt habe sein Urteil gesprochen, und davon erholt sich der Ruf eines Künstlers nie. Eliza muss mich also davon überzeugen, dass sie das Bild, das ich ihr verkaufe, nicht sofort wieder abstößt, sobald dadurch Gewinn zu machen ist; sie muss mich von ihrem Ernst als Sammlerin überzeugen, so wie ich sie davon überzeugen muss, dass Eulenböcks Wert auf lange Sicht nicht fallen wird.
Über all das reden wir aber nicht. Wir sitzen jeder vor einem Teller Salat, nippen an unserem Mineralwasser, lächeln viel und sprechen über allerlei, nur nicht über das, worum es geht. Ich bin ein guter Nachlassverwalter, sie ist eine gute Sammlerin, wir kennen das Spiel.
Also sprechen wir über venezianische Terrassen. Eliza hat eine Wohnung in Venedig, von der aus man den Canal Grande sehen kann. Einmal war ich zu Besuch, doch es hat die ganze Zeit geregnet, Nebel kroch übers Wasser, und die Stadt schien träge, dunkel und faulig. Wir lachen über die Partys auf der Biennale, wir sind uns einig, dass sie anstrengend sind, laut, mühsam, eine wahre Zumutung, und doch müsse man hingehen, was bleibe einem übrig. Wir finden, dass große Schönheit überfordern kann: Hilflos stehe man ihr gegenüber, es scheine, als müsste man handeln, etwas tun, auf sie reagieren, aber sie bleibe stumm und weise einen in souveräner Langmut zurück. Selbstverständlich fällt jetzt der Name Rilke. Wir sprechen über seine Zeit bei Rodin, wir sprechen kurz über Rodin selbst, dann, es ist unvermeidlich, über Nietzsche. Wir bestellen Kaffee, keiner von uns hat den Salat aufgegessen, an einem so heißen Tag hat niemand Appetit. Und jetzt, da die Stunde sich ihrem Ende zuneigt, sprechen wir doch noch kurz über Eulenböck.
Schwierig, sage ich. Es gebe mehrere Interessenten.
Das könne sie sich vorstellen, sagt Eliza, aber wenn man einem Bild eine Heimat gebe, komme es auf die Umgebung an, die Nachbarschaft. Sie habe schon manches von Eulenböck. Daheim in Gent habe sie Werke von Richter, Demand und Dean, sie habe einiges von Kentridge und Wallinger, sie habe einen Borremans, dessen Stil ja dem
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