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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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sagte ich.
    Er lachte.
    Die Kellnerin brachte die Torte, und ich bat ihn, Anekdoten zu erzählen. Während seines erfolgreichen Berufslebens habe er sicher manches erlebt.
    Erfolgreich? Nun ja. Früher, in der großen Zeit der Varietés, in der Epoche von Houdini und Hanussen, habe ein Hypnotiseur noch erfolgreich sein können. Aber in Tagen wie diesen! Ein Leben für die Kunst lasse sich schlecht auf Anekdoten reduzieren.
    «Hypnose ist eine Kunst?»
    Vielleicht sei sie sogar mehr. Vielleicht leiste sie immer schon, was die Kunst erst erreichen wolle. Alle große Literatur, alle Musik, alle … Er lächelte. Alle Malerei bemühe sich, hypnotisch zu wirken, nicht wahr? Er schob den Teller weg. Er müsse jetzt schlafen gehen, ein Auftritt sei anstrengend, danach sei man zum Umfallen müde. Er stand auf und legte mir die Hand auf die Schulter. «Maler?»
    «Bitte?»
    Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert, es war nichts Verbindliches mehr darin. «Maler – wirklich?»
    «Ich verstehe nicht.»
    «Ist auch egal. Ist nicht wichtig. Aber meinen Sie das ernst? Maler? »
    Ich fragte, was er damit sagen wolle.
    Nichts. Er sei müde. Er müsse sich hinlegen. Er blickte um sich, als wäre ihm ein Gedanke gekommen, dann murmelte er etwas, das ich nicht verstehen konnte. Klein und schwächlich sah er aus, blass sein Gesicht, die Augen waren nicht zu erkennen hinter den dicken Gläsern. Er hob grüßend die Hand und ging mit kleinen Schritten zur Tür.
    Erst auf der Fähre über den Kanal wurde mir klar, dass ich seine Stimme nicht mehr aus dem Kopf bekam. Maler, wirklich? Noch nie war ich so tiefem Zweifel begegnet, nie einer solchen Intensität von Skepsis und Spott.
    Kurz darauf, zurück in Oxford, erschien er mir so deutlich im Schlaf, dass es mir bis heute vorkommt, als wäre ich ihm insgesamt dreimal begegnet. Wieder war es in einer Theaterkantine, aber in meinem Traum hatte sie die Ausmaße einer Kathedrale. Lindemann stand auf dem Tisch, und sein Lächeln war zu einer derartigen Grimasse verzerrt, dass ich ihn kaum ansehen konnte.
    «Ich vergesse nichts.» Er kicherte. «Kein Gesicht und keinen Menschen, der bei mir auf der Bühne war. Dachtest du wirklich, ich weiß es nicht mehr? Armes Kind. Und du glaubst, du hast es in dir? Die Kunst. Das Malen. Die Schöpferkraft. Glaubst du das wirklich?»
    Ich trat zurück, wütend halb und halb voll Angst, aber ich konnte nicht antworten. Sein Lächeln wuchs und wuchs, bis es mein Blickfeld füllte.
    «Du kannst, was man können muss, aber du bist leer. Hohl bist du.» Er kicherte hoch und spitz. «Geh jetzt. Geh in Unfrieden. Geh und schaffe nicht. Geh!»
    Als ich zu mir kam, lag ich im Halbdunkel des Schlafzimmers und konnte nicht verstehen, worüber ich so tief erschrocken war. Ich schlug die Decke zurück. Darunter kauerte, gerollt zu einem Menschenball, mit spiegelnder Brille Lindemann. Und während er kicherte, erwachte ich ein zweites Mal, im selben Zimmer, und schlug mit klopfendem Herzen die Decke zurück, aber diesmal war ich allein und wirklich wach.
    Er hatte recht, das wusste ich. Aus mir würde nie ein Maler werden.

    Jetzt fällt mir sein Name ein, er heißt Sebastian Zöllner. Ich frage ihn, wohin er fährt. Nicht, dass es mich interessieren würde, aber wenn man sich flüchtig kennt und in der U-Bahn nebeneinandersitzt, muss man auch miteinander plaudern.
    «Zu Malinowski. Ins Atelier.»
    «Wer ist Malinowski?»
    «Ja genau. Eben! Wer ist das eigentlich! Aber das Circle -Magazin bringt eine Geschichte über ihn, und wenn die erscheint, zieht art monthly sofort nach, und dann ruft mich noch am selben Tag der Chef zu sich und fragt, warum wir das schon wieder verpasst haben. Also mache ich den ersten Schritt.»
    «Und wenn Circle nichts bringt?»
    «Die bringen dann sicher was, weil ich ja etwas gebracht haben werde. Und ich werde schreiben, dass es eine Schande ist, wenn einer wie Malinowski nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Dass bei uns Lautstärke immer über Qualität triumphiert, das werde ich schreiben, gut? Lautstärke über Qualität. Gut? Spätestens dann macht sich Humpner bei art monthly gewaltig in die Hose, dann ziehen die auch nach, und schon bin ich Malinowskis Entdecker. Das ist der Vorteil, wenn man für eine Tageszeitung schreibt und nicht für ein Magazin, das mit zwei Monaten Vorlauf produziert. Man kriegt raus, was die vorhaben, und ist schneller.»
    «Welche Art von Kunst macht er?»
    «Wer?»
    «Malinowski.»
    «Das weiß

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