F (German Edition)
war, Verehrer von Freud und Hockney, was er mir vorwarf, er nannte es feige und epigonal. Wir stritten viel, wir tranken viel, wir nahmen Drogen in moderater Dosis, wir trugen Seidenhemden und ließen unsere Haare wachsen bis auf die Schultern. Kurz teilten wir ein Atelier in Oxford, das eigentlich nur ein Raum über einer Wäscherei war, er malte am Nord-, ich malte am Westfenster, es gab ein Klappbett, wir benützten es ausgiebig und kamen uns dabei vor, als sähe die Zukunft zurück auf uns, als hätten uns spätere Kunsthistoriker fest im Blick. Als er sein Studium abbrach, nannte ich ihn faul und brach meines nicht ab, weshalb er mich einen Spießer nannte.
In den Ferien wanderten wir durch das feuchte Grün von Wales, wir stiegen auf Hügel in der Dämmerung, wir suchten hohe Klippen und schroffe Schluchten auf, und einmal liebten wir uns auf einer runenbedeckten Steinplatte, was noch viel unbequemer war, als wir es uns vorgestellt hatten. Wir diskutierten, wir drohten einander, wir schrien, wir tranken zur Versöhnung und gerieten betrunken von neuem in Streit. Wir füllten Skizzenblöcke, wir wanderten bei Nacht, wir erwarteten in klammen Morgenstunden den Sonnenaufgang über der bleigrünen Fahlheit des Wassers.
Am Ende der Ferien kehrte ich zurück nach Oxford, und er fuhr nach Brüssel, um seinen Vater zu überzeugen, dass er ihm weiterhin Geld gab. Es war das Jahr 1990, das östliche Europa hatte sich befreit, und da man gerade noch keine E-Mails schrieb, schickten wir einander Karten, fast jeden Tag. Bis heute bin ich in Sorge, dass all meine Ausbrüche – all das Philosophieren, all die Romantik, Hoffnung und Wut – vielleicht noch in irgendeiner Schublade aufbewahrt sind. Seine Post habe ich, da es mir zu theatralisch vorgekommen wäre, sie zurückzuschicken, später vernichtet.
Denn als ich in den Ferien darauf nach Brüssel kam, merkte ich, dass etwas sich geändert hatte. Wir sahen aus wie zuvor, wir taten, was wir immer getan hatten, wir führten die gleichen Gespräche, aber etwas war anders geworden. Vielleicht lag es nur daran, dass wir so jung waren und befürchteten, etwas zu versäumen, doch wir hatten angefangen, einander zu langweilen. Um es auszugleichen, sprachen wir noch lauter und stritten noch mehr. Drei Nächte hintereinander blieben wir wach, im rhythmisch dröhnenden Flackern wechselnder Clubs, trunken von Müdigkeit und Aufregung, bis alle Orte zu einem Ort wurden und alle Gesichter in eins flossen. Irgendwann standen wir im Museum und stritten über Magritte, dann lagen wir wieder im Gras, dann waren wir in seiner Wohnung, und auf einmal hatten wir uns getrennt, wir wussten beide nicht, wie, und eigentlich auch nicht, weshalb es geschehen war. Willem warf eine Flasche nach mir, ich duckte mich, sie zerbrach über mir an der Wand, zum Glück war sie leer. Ich lief die Treppe hinunter, meinen Koffer hatte ich stehen gelassen, er schrie mir nach, seine Stimme hallte durchs Treppenhaus, dann schrie er aus dem Fenster, dass ich zurückkommen, dass ich mich ja nicht mehr blicken lassen, dass ich zurückkommen solle, und erst als ich seine Stimme nicht mehr hörte, fragte ich nach dem Weg zum Bahnhof. Eine Frau zeigte mir besorgt die Richtung, ich war wohl sehr blass, und plötzlich sah ich das Plakat. Es war noch dasselbe Foto, es war auch derselbe Wortlaut: Lindemann lehrt Sie, Ihre Träume zu fürchten .
Gegen Ende der Vorstellung, die ich mir nicht ansehen konnte – ich hatte mich kurz auf einer Parkbank ausruhen wollen, und dort hatte ich geschlafen bis in den frühen Abend –, stand ich vor dem Theater. Die Leute kamen gerade heraus. Ich suchte nach der Kantine. Lindemann saß vorgebeugt an einem Tisch, löffelte Suppe und sah irritiert auf, als ich mich zu ihm setzte.
«Mein Name ist Iwan Friedland. Geben Sie ein Interview? Für Oxford Quarterly ?» Ich wusste nicht, ob es ein Oxford Quarterly gab, aber es war die Zeit vor dem Internet, man konnte Dinge schwer überprüfen.
Er hatte sich äußerlich nicht verändert, seine Brillengläser spiegelten, in seiner Brusttasche steckte das grüne Tuch. Als ich begann, ihm Fragen zu stellen, bemerkte ich, wie schüchtern er war. Ohne Scheinwerfer und Publikum schien er verloren in seiner Unsicherheit. Er rückte seine Brille zurecht, lächelte verkrampft und fasste sich immer wieder tastend an den Schädel, als wollte er sich vergewissern, dass die wenigen verbliebenen Haare noch an ihrem Platz waren.
Bei der Hypnose, sagte er,
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