Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fabelheim: Roman (German Edition)

Fabelheim: Roman (German Edition)

Titel: Fabelheim: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Mull
Vom Netzwerk:
ärgerliche, und begriff, dass es nichts von alledem je wieder geben würde.
    Sie schluchzte so heftig, dass sie zitterte. Heiße Tränen strömten ihr über die Wangen. Sie ließ sie fließen. Sie brauchte die Erleichterung, sie konnte all das Grauen nicht länger unterdrücken. Die Tränen, die sie während ihrer Flucht aus der Vergessenen Kapelle vergossen hatte, waren Tränen des Schreckens und des Entsetzens gewesen. Jetzt flossen Tränen der Erkenntnis.
    Die Tränen rollten über ihr Kinn und fielen in die Silberschale. Sie schluchzte und schluchzte und kam kaum noch zu Atem. »Bitte, hilf mir«, brachte sie schließlich heraus.
    Eine wohlriechende Brise wehte über die Insel. Sie duftete nach fruchtbarer Erde und frischen Blüten, und ein Hauch von Meeresluft lag darin.
    Sie hörte auf zu weinen und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von den Wangen.
    Die Miniaturstatue war nass. Kam das von Kendras Tränen? Nein! Wasser sickerte aus den Augen der Statue in die Silberschale.
    Die Luft regte sich abermals und der Duft wurde stärker. Kendra spürte die Gegenwart eines anderen Wesens. Sie war nicht länger allein.
    Ich nehme deine Opfergabe an und weine mit dir. Sie
konnte die Worte nicht hören, aber in ihrem Denken spürte Kendra sie so deutlich, dass sie nach Luft schnappen musste. Etwas Derartiges hatte sie noch nie erlebt. Immer noch sickerte klare Flüssigkeit von den Augen der Statue in die Schale.
    Aus Tränen, Milch und Blut bereite einen Trank, und meine Dienerinnen werden dir helfen.
    Das mit den Tränen war klar. Die einzige Milch, die Kendra sich für diesen Zweck vorstellen konnte, war die Violas. Aber wessen Blut? Ihr eigenes? Das der Kuh? Die Dienerinnen mussten Feen sein.
    »Warte, was soll ich tun?«, fragte Kendra. »Wie komme ich von der Insel?«
    Als Antwort kreiselte der Wind für einen Moment, entwickelte sich zu einer Bö und ließ wieder nach. Der angenehme Duft verschwand. Die kleine Statue hörte auf zu weinen, und die übersinnliche Gegenwart des anderen Wesens war nicht mehr zu spüren.
    Kendra griff nach der Schale. Sie war ungefähr so groß wie ihre Handfläche und fast zu einem Drittel gefüllt. Sie hatte gehofft, dass die Feenkönigin die Situation für sie regeln würde. Stattdessen hatte sie ihr eine Möglichkeit gewiesen, das Problem selbst zu lösen. Die telepathische Botschaft kam ihr ebenso präzise vor wie gesprochene Worte. Ihre Familie war immer noch in Gefahr, aber der Hoffnungsfunke war jetzt eine Flamme.
    Wie sollte sie von der Insel kommen? Kendra stand auf und ging zum Ufer. Unglaublicherweise driftete das Tretboot in ihre Richtung. Es kam stetig näher, bis es die Insel erreichte.
    Kendra stieg ein. Es legte von allein ab, wendete und nahm Kurs auf den weißen Bootssteg.
    Kendra sagte nichts. Sie trat nicht. Sie hatte Angst, irgendetwas
zu tun, das die Fahrt zum Steg unterbrechen könnte. Sie hielt die Schale auf ihrem Schoß, sorgfältig darauf bedacht, auch nicht einen Tropfen zu verschütten.
    Dann sah sie eine dunkle Gestalt auf dem Steg, die bereits auf ihre Rückkehr wartete. Eine Marionette von der Größe eines Menschen. Mendigo.
    Kendras Kehle schnürte sich vor Angst zusammen. Sie hatte auf der Insel Magie gewirkt! Die Tränen von der Statue  – das war Magie, nicht wahr? Ihr Schutz würde nicht mehr funktionieren. Und Mendigo war gekommen, um sie zu fangen.
    »Könnt ihr mich irgendwo anders absetzen?«, fragte sie.
    Das Boot bewegte sich stetig vorwärts. Was sollte sie tun? Selbst wenn sie sie irgendwo anders absetzten, würde Mendigo ihr einfach folgen.
    Das Boot war nur noch zwanzig Meter vom Steg entfernt, dann zehn. Sie musste den Inhalt ihrer Schale schützen. Und sie durfte sich nicht von Mendigo fangen lassen. Aber wie konnte sie ihn aufhalten?
    Das Tretboot legte am Steg an. Mendigo machte keine Anstalten, sie zu packen. Er schien darauf zu warten, dass sie an Land kam. Kendra stellte die Schale auf den Steg und stand auf. Jemand schien das Boot für sie festzuhalten.
    Als sie auf den Steg trat, bewegte Mendigo sich vorwärts, aber wie zuvor schien er sie nicht greifen zu können. Mit halb erhobenen Armen und zitternden Fingern stand er da. Kendra hob die Schale auf und ging um die Marionette herum. Mendigo folgte ihr den ganzen Steg entlang.
    Warum hatte Muriel Mendigo hinter ihr hergeschickt, wenn er sie nicht ergreifen konnte? Wusste Muriel, dass
sie sich mit der Feenkönigin in Verbindung gesetzt hatte? Wenn ja, war die Anwesenheit

Weitere Kostenlose Bücher