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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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war als sie (Sohn? Schwiegersohn? Verwandter?), die brennenden Lampen an der Wand verbreiteten ein trauriges Kirchenambiente, die Gesichter der Krankenschwestern und der Angestellten kamen ihm niedergeschlagen und regnerisch vor. Lange Korridore, numerierte Türen, Geruch nach Alkohol, Sauerstoffflaschen, oben mit einem Hahn und einem Zifferblatt, lehnten in einer Ecke. Zimmer fünf, Zimmer sechs, Zimmer sieben, Zimmer acht, Zimmer neun, an die Wand geschraubte Metallaschenbecher, und hinter einigen Türen gedämpftes Gemurmel, Gespräche, undeutliche Geräusche, laufendes Wasser.
    – Brigadegeneral Ricardo hat Sie hoffentlich nicht zu sehr geärgert? fragte Major Fontes, der arglos lächelte. Wenn es allein nach ihm ginge, würde er per Dekret alle Offiziere der Welt in Pension schicken.
    Zimmer zwölf: er drehte am verchromten Türknauf, trat ein, und da lag der dickliche Körper in einem Eisenbett, der rotblonde Kopf war mit seinen zerzausten Haarsträhnen in das Kopfkissen
eingepaßt wie eine Füllung im Zahn, eine Flasche mit Infusionsflüssigkeit hing an einem Haken und tropfte in den Arm, der Schlafanzug stand offen, und die Brust war mit Saugnäpfen und Kabeln übersät, die in einer Art Fernseher in einem Metallkasten verschwanden, auf dessen dunkelblauem Bildschirm intermittierend Salven kleiner, blitzender Wellen vibrierten: Wie gelb du geworden bist, dachte der Oberstleutnant, wie alt du geworden bist, du Mistkerl. Und er stellte ihn sich vor, wie er auf einem Obduktionstisch lag, steif, blaß, vollständig nackt, mit einem Holzkeil im Nacken, während sich ihm ein Arzt in Gummischürze mit gezücktem Messer näherte, die Hand hob und den Bauch des Generals wie ein Pflug langsam, schmerzvoll aufschlitzte. Der Oberstleutnant schloß die Augen, so schnell er konnte, um nicht zu sehen, wie der Glibbber der Gedärme sich auf die Steinplatte ergoß, das geronnene Blut, der feine, durchsichtige Schaum, der unter der lila Anemone der Leber brodelte. Es gab andere Leichen auf anderen Tischen, die von Major Fontes, die von Oberleutnant Cardoso, meine, ein Fenster mit matten Scheiben, ein Zahnarztgeruch stach ihm in die Augen, Angestellte in Blaumännern schrubbten den Boden mit langen Wischmops. Wie alt die Dame im Kittel wohl war? Vierzig, fünfundvierzig, siebenundvierzig, war sie ledig, verheiratet, Witwe, wie hieß sie wohl? Gezupfte Augenbrauen, Lack auf den Fingernägeln, gefärbte Haarsträhnen: im Gegensatz dazu waren die Finger der Putzfrau quadratisch, runzlig, männlich, der Leib über die Maßen dick, ohne Grazie, riesige Bäuerinnenfüße bewegten sich in der Antarktis der Betttücher. General Ricardo blickte ihn an, mühevoll, mit offenem Mund, atmete schwer auf dem Kissen, der Schatten eines Lächelns brachte ihm sekundenlang die Gaumen durcheinander, die freie Hand wanderte wie ein Krebs etwas am Rand der Bettdecke entlang, blieb, die Schere des Daumens in die Luft gereckt, stehen, die kleinen Streifen auf dem Fernseher setzten ihren leuchtenden Marsch unbeeindruckt fort. Ich wette, siebenundvierzig, ich wette, aus guter Familie, ich wette, Witwe, soviel Sarkasmus macht
einen Ehemann schnell kaputt: der Arzt zerschnitt jetzt die Rippen mit einem Instrument, das einer Astschere ähnelte, und man erkannte die zwillingsgleichen, grauen Kokons der Lungenflügel, die faule Frucht des in rosenfarbenes Zellophan gehüllten Herzens, Membranen, die ein grausames Taschenmesser zerfetzte.
    – Guten Tag, Ricardo, sagte er zu den sterbenden, vor Müdigkeit oder Angst matten Pupillen, und der Daumen des Typen erzitterte ein ganz klein wenig, der Adamsapfel hüpfte im Hals, eine Ringelblume aus Spucke erblühte im Mundwinkel.
    – Das Meer, wunderte sich Dália, was ist das für eine Geschichte mit dem Meer?
    – Vom Oberst an aufwärts, befahl Oberst Ricardo energisch, erfinde ein paar solide Argumente für eine vollständige Säuberung, wobei selbstverständlich ein halbes Dutzend ausgebrannter Typen verschont werden muß, um das Gesicht zu wahren. Außer daß wir damit der Revolution einen unschätzbaren Dienst leisten, ist das, unter uns gesagt, unsere große Gelegenheit, Artur.
    – Ich muß in kurzer Zeit über fünfhundert oder sechshundert Akten studiert haben, grummelte der Oberstleutnant, wobei er vorsichtig seine Blase abtastete, dieser verfluchte Champagner macht mir die Nieren kaputt, ehrlich. Es gibt keinen einzigen Soldaten, dessen Leben ich nicht von vorn bis hinten kenne, über den ich nicht

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