Fado Alexandrino
daß die ärmlichen Viertel einander alle gleichen, Marvila, Chelas, Buraca, Paiã, Olivais, Moscavide, Benfica, die gleichen Gebäude, die gleichen vor sich hin sterbenden kleinen Parks, die gleiche Unsauberkeit, die gleichen streunenden Hunde, die gleichen Fetzen verblichener Plakate an den Wänden? Natürlich gab es keinen Fahrstuhl, natürlich gab es keinen Platz, natürlich mußten wir schräg durch das wilde Durcheinander von Tischen, Stühlen, Konsolen, Gegenständen aus Weidengeflecht, Bildern, Püppchen aus Muscheln oder Ton gehen, die im Wechselfieber erzitterten, wenn man die Wasserspülung stärker zog, Borde, die mit kleinen Papierdeckchen bezogen waren. Natürlich waren die Nachbarn Soldaten bei der Guarda Republicana, Lageristen, pensionierte Buchhalter, ein Kellner aus einem Café, der Gedichte schrieb und den zweiten Preis für Sonette beim Dichterwettstreit der Studenten- und Freizeitakademie Os Oito Unidos in Lissabon gewonnen hatte, natürlich zogen sich die Männer Streifenpyjamas an, wenn sie von der Arbeit kamen, die Radios bemühten sich, mit ihrem Gebrüll das Weinen, die Proteste, das Geheul der Kinder zu übertönen, verschiedene Essensgerüche vermischten sich und lösten sich in klebriger Feuchtigkeit auf. Und dennoch, wissen Sie, glauben Sie ja nicht, daß trotz der Unbequemlichkeiten und des Fehlens von Geld und der Singerei der
Betrunkenen sonntags nachts in der Taverne neben dem Sargladen mein Leben damals nicht gut war. Es war gut: wie meine Mutter immer sagte, der Himmel schützt Dumme wie uns.
Er verbrachte den Vormittag in dem Kabuff bei der prähistorischen Schreibmaschine, machte Notizen auf Akten, blätterte Hefte durch, unterstrich mit rotem Buntstift Worte, Sätze, ganze Abschnitte, schrieb, die Zunge aus dem Mundwinkel gestreckt, als rauchte er ein weiches Stück Oktopus, Seite um Seite Urkundenpapier des Heeresministeriums voll, die ein Fähnrich mit langen Nägeln um elf Uhr abholte und, kurz vor zwölf Uhr wieder vor der Tür stehend, abgetippt zurückbrachte. Während er sich zum Büro von Oberst Ricardo begab und das Geräusch seiner Schuhe auf dem Marmor des Bodens hallte (diese weißlichen, von feinen blauen Äderchen durchzogenen Rauten mußten Marmor sein), betrachtete er vage, was er geschrieben hatte, und ihn überfiel die unangenehme Überzeugung, einen Haufen zusammenhanglosen Blödsinns, aufgeblasener Nichtigkeiten abgesondert zu haben, die der andere verächtlich in den Weidenkorb werfen würde, der für die mentalen Kötel seiner Untergebenen bestimmt war. Die Frau im Kittel, die das Telefon wie eine Geige zwischen Hals und Schulter geklemmt hatte, rief ihn durch die Glasscheibe, und der Oberstleutnant vergaß die brasilianische Zeitschrift voller beinahe nackter Badender, voller Politiker mit Sonnenbrille und Fußballspieler und näherte sich dem Resopalhufeisen des Tresens:
– Es ist fünf nach drei (ein kokettes Lächeln, ein Goldzahn, eine prätentiöse, ironische Stimme), falls Sie Ihren Freund den Zeitungen vorziehen.
Und in einem unvermittelt professionellen Tonfall, indem sie das Haar mit flatternder Handfläche zurechtrückte:
– General Armando Ricardo, Herzinfarkt, Zimmer zwölf, die Treppe hinauf, rechts.
– Für den ersten Tag ist das gar nicht schlecht, ließ sich Oberst Ricardo herab, während er die Blätter mit schnellen Äuglein prüfte. Doch es gehört weniger Wohlwollen und mehr Aggressivität
da rein, um die Demokratie wirksam zu verteidigen, um die Ziele der Revolution aufrechtzuerhalten: bei neun zweifelhaften Offizieren schlägst du nur die Entfernung von einem vor und darüber hinaus noch die eines harmlosen kleinen Oberleutnants, der niemandem die Beförderung verstellt. So kommen wir nie voran, Artur; schick mir mindestens neunzig Prozent der höheren Offiziere in die Reserve, das waren die Mistkerle, die das Regime hielten. Gib mir die Gutachten, ich nehme sie hierhin und dorthin mit und überzeuge unsere noch in den Windeln liegenden kleinen Che-Guevara-Hauptleute: sie scheuen etwas, weißt du, aber wenn man ihnen mit der Hand über die Kruppe streicht, kann man mit ihnen machen, was man will.
Der Oberstleutnant stieg die Treppen des Krankenhauses hinauf und spürte, daß die Empfangsdame im Kittel seine Bewegungen, den Schnitt seines Anzugs genau anschaute, kritisch den Preis seiner Kleidung abschätzte. Auf dem Treppenabsatz begegnete er einer weinenden Frau, die auf einen Jungen gestützt ging, der sehr viel jünger
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