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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Angehörigen, Er starb im Kampf in der Provinz Mosambik, und dann die Ladeluke eines Schiffes nach Lissabon, und das war’s. Man könnte neidisch darauf sein, wie einfach das alles war, erinnern Sie sich noch?
    – Wegrationalisieren? heulte sarkastisch der Glatzkopf auf dem Korridor, mich wegrationalisieren? Noch ein Pieps, und ich rationalisiere dich weg, du Pappnase, und dann ist für dich ein für allemal Schluß mit Arztterminen. Die Revolution ist ein paar gute Monate vorbei.
    – Ein kleiner Beitrag, Herr General, auch wenn es noch so wenig ist, erniedrigte sich die Mutter (Ein anderer Mensch, dachte der Oberstleutnant, ohne Zweifel ein ganz anderer Mensch): meine Tochter hielt so viel von Ihnen.
    – Wir haben Zimmer für drei-, fünf- und achttausend Escudos, zählte die Leiterin des Altenheims auf, die einen Haarknoten und einen karierten Kittel wie die Haushälterinnen vor zwanzig Jahren hatte: die gleichen strengen Augenbrauen, die gleichen Pantoffeln, die gleichen Haare in der Nase, der gleiche schmale Mund. In denen für drei- bis fünftausend gibt es keine freien
Plätze, in denen für acht ist vorgestern zufällig die Witwe eines Ministers gestorben, und wenn Sie die Einrichtungen einmal anschauen möchten, bitte sehr.
    – Ich habe die Zeitungen durchgesehen, meine Freunde genervt, habe ganz Lissabon auf der Suche nach einem anständigen Heim durchkämmt, entschuldigte sich der Funker, der die Segnungen majestätisch vervielfältigte, aber ein Altersheim ist schwieriger zu finden als eine Jungfrau in einem Hurenhaus. Bis ich am Ende das in der Calçada do Combro gefunden habe.
    Links ein Krämerladen, der nach Muckefuck und Trockenfisch roch, rechts ein Billardclub (gekreuzte Queues über einem roten Ball), und ein altes, schmächtiges, zweistöckiges Gebäude mit einem an der Klingel angeklebten Metallschild, SENIORENHEIM PIUS XII. CHRISTLICHER GEIST, geschlossene Fenster, vage, reglose Gesichter an den Scheiben, undeutliche Züge in den Gardinenfalten: er drückte auf den Knopf, und ein schriller Strahl zerschnitt unvermittelt die Stille dort drinnen, zerriß Decken und beunruhigte Schritte, die Tür öffnete sich lautlos, eine geflieste Diele, eine Garderobe, ein an die Wand geschobener Tisch, darauf ein Porzellanteller, eine Schwingtür mit körnigen grünen und gelben Scheiben, eine Angestellte auf allen vieren, die, den Hintern in der Luft, Stufen bohnerte: das Zimmer für achttausend Escudos befand sich im oberen Stockwerk, und der Funker sah im Vorübergehen im Erdgeschoß einen großen Saal mit einem ausgeschalteten Fernsehapparat und etwa zehn alten Menschen, die still, packpapiergrau, mit auf den Knien ausgebreiteten Fingern dasaßen, hier und dort Stufen, die Kurve eines Geländers, ein Treppenabsatz. Es ist die vierzehn, erklärte die Leiterin, die schnell und steif vor ihm herschlurfte: sie zog ein Schlüsselbund aus der Tasche, ein Schloß leistete Widerstand, quietschte, gab nach, sprang schließlich mit einem Zungenschnalzen auf: Hier ist es, sagte die Frau, natürlich muß noch aufgeräumt werden, die kleine Endsäuberung: ein Bett in schlechtem Zustand, ein welliger Läufer, ein Schrank mit abgestoßenen Schubladen, kleine Heilige,
an Nägeln hängend, die grobe Löcher in den Putz gruben, Papst Pius XII. mit Brille, der seine Nase wie die eines mystischen Vogels vorstreckte, ein undefinierbarer Geruch nach altem Urin, Lavendel, Medizin, fauliger Wäsche. Der Funker zog die Gardine zur Seite, die sich ihm in den Fingern fast in Luft auflöste, und da war die Calçada do Combro, farblos im Oktobermorgen, ein Mann mit den Händen in den Taschen auf der Schwelle eines bescheidenen Schuhgeschäftes, das voller Babystiefelchen war, kleine Restaurants mit karierten Tischtüchern, Werkstätten, Barbiere, das trübe Schaufenster eines Antiquars, ein Typ mit Maßband um den Hals, der über die Straße rannte. Die Fischaugen der Leiterin wogen tonnenschwer auf meinem Rücken, eine Küchenschabe mit Millimeterfühlern ging an der Fußleiste spazieren: Die Witwe des Ministers, dachte der Funker, ist bestimmt daran gestorben, daß sie jeden Tag auf diese enge, hoffnungslose Landschaft geschaut hat, diese Kneipen, diese Schneidereien, dieses Fehlen von Sonne, Dächer über Dächern über Dächern und die noch über weiteren Dächern, der Oktoberregen, der traurig macht und nicht naß, die Kälte, die nicht richtig kalt ist, aber einen frieren macht, der kieselige Husten, den ich unten höre,

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