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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: António Lobo Antunes
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Als ich klein war, hatte ich ihn mir nie mit den üblichen Totenschädeln und Schenkelknochen und Gespenstern vorgestellt: Wenn ich daran dachte, erschien (vor meinem inneren Auge) immer ein zu sehr aufgeräumtes Zimmer, in dem die Dinge übertrieben genau an ihrem Platz standen. Oder die alte Nähmaschine meiner Großmutter in einer Ecke in der Nähe des Fensters, daneben, im Schatten einer Lampe an der Wand, der Korb mit der Wäsche, die ausgebessert werden mußte, und das vollkommene Fehlen von Menschen. Genau das ist es, das Fehlen von Menschen, verstehen Sie, was mich erschreckt: die Stille der Plätze in der Nacht, wenn niemand da ist, die Korridore, in denen unsere eigenen Schritte uns beunruhigt entgegenkommen und wo, wenn wir husten, unser Husten unangenehm und sauer wie runtergeschlucktes Erbrochenes in unseren Rachen zurückkehrt.
    Wegen des Asthmas des Alten, das vom Rauch schlimmer wurde, machten sie die Zigaretten aus, indem sie die Stummel mit dem kleinen Finger köpften, und steckten die Kippen in eine Streichholzschachtel, hinters Ohr, in die Tasche, um sie später zu rauchen, wenn die drei ruckelnd im auseinanderfallenden Laster durch den chaotischen Verkehr der Stadt fuhren, die sie nur mühsam durch die dreckige, beschlagene Scheibe erkennen konnten, als würden sie (Gebäude, Boulevards, Plätze, Ödland, die merkwürdige Mischung von nicht zusammenpassenden, wahllosen Dingen, aus denen Lissabon besteht) wie hinter dem Nebel eines
Traumes betrachten. Sie stiegen in Turnschuhen oder Stiefeln schlurfend die abgetreteten Stufen zum Kabuff des Onkels hinauf, der Alte, dem drei Finger fehlten, nahm respektvoll wie am Eingang einer Kapelle die Mütze ab, zeigte die Altersflecken und den Schorf seiner Glatze, folterte die Mütze mit der Verlegenheit seiner Finger, während Senhor Ilídio mit unendlich angewiderter Miene die Blume aus dem Glas nahm wie jemand, der ein abstoßendes Tier berührt, und sie (verdrossen? überrascht? weil er sich vor ihnen schämte?) in den Müllkorb warf, in dem sich ein unendlicher Papierwust türmte und zu einem Rechnungshefepudding aufging.
    – Wahrscheinlich hat er, wenn ihr rausgegangen wart, die Blume wieder aus dem Korb gefischt und sie den ganzen Nachmittag lang angeschaut, schlug der Funker vor, während er den etwas unsicheren Ärmel zum Hals der Rotweinflasche ausstreckte. Dein Onkel muß ein lyrischer Typ gewesen sein.
    – Der Hausrat von Stockwerk soundso in der Soundsostraße zur Nummer soundso des Soundsoplatzes, knurrte der Asthmatiker, indem er ihnen ein Blatt aus einem Notizbuch mit den Adressen gab. Und der kleine Laster ist um sieben Uhr wieder hier, ich dulde keine Kreuzwegstationen in den Tavernen.
    – Diese Warnung galt dem Stummen, erklärte der Soldat. Er vertrug keinen Wein und wirkte nach der Arbeit sternhagelvoll, und der Alte und ich hatten einen Mordsschiß und stützten ihn. Er pfiff, tanzte Tango, sackte auf den Boden, machte das Gackern von Hühnern nach, erzählte mir von der Tochter, die vor ein paar Monaten an einer Krankheit in den Eingeweiden gestorben war, dem Krankenhaus, den Schläuchen in der Nase, dem nach der Autopsie zugenähten Bauch, er sabberte uns am Ende immer die Schultern mit seinen Rotztränen voll. Schließlich konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten, hängte sich an uns, bat uns, ihn zum Friedhof zu bringen, um das Grab des Mädchens zu besuchen, und es brachte nichts, ihm zu erklären, daß es bereits nach sieben Uhr war, daß es kein Grab gab, weil alles vor fünf Jahren
passiert war und die Knochen inmitten der anderen ins Massengrab gekippt worden waren: er hörte nicht zu, beharrte monoton, wirr, langsam, unbeirrbar darauf. Wir machten immer in einer Pinte in Chelas halt, der Stumme kannte den Besitzer, sie hatten zusammen in der Anfängermannschaft des Vereins Operário gespielt, es gab Dutzende von gerahmten Fotos mit Widmung an allen Wänden, unzählige Fliegen, im Sommer eine angenehme Kühle, wir tranken zu viert auf den Operário-Verein, ein Einarmiger, der Lose verkaufte, schüttelte die Brieftasche, um das Foto der berühmten Stürmerlinie der Ehrenmannschaft zu zeigen (Manecas, Gonzalez, Zuzarte, Pires II und Zezinho), neben dem blöden Lächeln seiner als Sevillanerin verkleideten Enkelin, gab eine Runde auf Kosten der Weihnachtslotterie aus, es gab da zudem noch zwei rostige Pokale und eine kleine Vitrine mit Medaillen, áwir begannen in uns selber, durch den Bucelas-Wein getrieben,

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