Fänger, gefangen: Roman
ins Hotel. Er entscheidet sich, und dann geht er einfach. Das ist echt cool.
Nächste Woche komme ich in die Zehnte – mit großem Wechsel auf die Essex County Highschool und so, aber die ist auch bei uns in Tappahannock. Ich war noch nie in einer Stadt, die größer ist als Richmond. Da meine Eltern sich diesem Zurück-zur-Natur-Ding verschrieben haben, gehen wir nie in große Städte, wenn sie es vermeiden können.
Als Holden beschließt abzuhauen, ist er schon in New York City, der Stadt aller Städte. Aber irgendwas hält ihn davon ab, so richtig wegzulaufen. Was bloß? Angst kann es nicht sein. Dieser Typ hat keine Angst. Er redet mit fremden Frauen und marschiert im Hotel geradewegs zur Rezeption. Bewundernswert. Als ob ich mir einfach so eine Stadt aussuchen, mein Geld auf den Tisch knallen und alleine hinfahren könnte! Einen Taxifahrer kreuz und quer durch die Stadt schicken und eine Fremde in einer Bar zum Tanzen auffordern!
Ich frage mich immer wieder, warum er das alles macht? Vielleicht, weil er die Art von Mensch sein will, die so was kann. Vielleicht probiert er auch einfach nur herum und versucht damit klarzukommen,dass er von der Pencey wegmusste, bevor er nach Hause geht. Seine Schwester Phoebe wartet auf ihn, und er will sie nicht hängen lassen oder dass sie denkt, er hätte sie angelogen. Und zum Teil ist er auch deswegen so fixiert auf zu Hause, weil sein Bruder tot ist. Aber egal, was der Grund ist, er hat auf jeden Fall die Schnauze voll von all den Heuchlern, und deshalb arbeitet er so hart daran, klarzukriegen, wer er wirklich ist. Für seine Eltern und für sich selbst.
Auch wenn er es nicht offen ausspricht, muss er doch wissen, dass er es vermasselt hat. Das muss selbst ihm doch ziemlich klar sein. Wenn er seine Aufgaben erledigt hätte, diese dummen Aufsätze ordentlich geschrieben hätte, wäre er nicht geflogen. Die Dinge auf erwachsene Weise zu regeln, heißt, Verantwortung zu übernehmen. Es beim nächsten Mal richtig zu machen. Du meine Güte, ich klinge wie mein Vater.
Aber man weiß, dass Holden das alles begreift, weil er mit den höheren Mächten an der Schule nicht hadert. Dass er so klammheimlich abhaut, ist in gewisser Weise ein Eingeständnis. Nicht, dass es sein Fehler ist, sondern dass er von Anfang an nicht reingepasst hat. Was mich wieder zu der Frage zurückbringt, warum er die Arbeiten nicht erledigt hat. Es ist nicht so, dass er nicht wusste, was passieren würde. An den Schulen vor der Pencey ist ihm das ja auch passiert. Es muss also mehr dahinterstecken. Diese Sache, dass du rausfinden willst, wo du hingehörst.
Ganz tief drinnen glaube ich, der alte HC weiß etwas, das ich wissen sollte. Das habe ich noch niemandem erzählt. Es ist ein bisschen seltsam, wenn der
Fänger
erst im nächsten Jahr gelesen werden soll und ich ihn jetzt schon durchhabe, noch ehe wir das aufbekommen. Joe meint, das sei okay – das Buch sei einzigartig und besser als alles, was die ihm bisher auf dem College zu lesen gegeben haben. Er hat sogar gesagt, wir könnten darüber reden, wenn er Weihnachten nach Hause kommt, als würde ihn wirklich interessieren, was ich davon halte.
Das Endbeste an Holden ist, dass er sagt, was er denkt, ohne Drumherum. Ich wünschte, ich könnte so reden. Aber dazu denke ich nichtschnell genug. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, mir Gedanken zu machen, ob der andere mich für blöd oder für bescheuert hält. Bei Holden sieht das so einfach aus. Die Beleidigungen schüttelt er einfach ab und hört sich alles an, während ich schon kurz vorm Explodieren wäre. Er hört sogar höflich zu, wenn die Erwachsenen versuchen, ihm Ratschläge zu erteilen. Wie der alte Professor, dem er leidtut. Spencer heißt er, glaube ich. Und Antolini, der überzeugt ist, dass sein geliebter Schützling ins Unglück rennt. Gut, Holden gibt ein bisschen nach, um ihre Gefühle nicht zu verletzen, aber er weigert sich, ihre Spielchen mitzuspielen. Und er lässt sich von ihnen nicht ausreden, was er empfindet. Die ganze Welt wäre leichter zu ertragen, wenn alle wie Holden wären und immer gleich von Anfang an zugeben würden, was sie nicht verstehen.
Auch wenn die KRANKHEIT mich dazu bringt, über Dinge nachzudenken, über die ich vorher nie nachgedacht habe, weiß ich auch nicht genau, warum ich bestimmte Sachen mache oder ganz genau so und nicht anders reagiere. Jedes Mal, wenn ich zu wissen glaube, was ich will oder wie ich mich fühle, verändert sich was, bevor ich es zu
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