Fänger, gefangen: Roman
ähnlich. Wir sind praktisch im selben Alter. Und obwohl er, genau wie ich, keine Ahnung hat, was er als Nächstes tun soll, gibt es einen großen Unterschied: Er hat das ganze Leben vor sich, um es herauszufinden.
Es ist schwer, ihn nicht dafür zu hassen. Und Nick und Joe. Sie dürfen leben. Vielleicht um die Welt reisen, mit ein paar Mädchen schlafen, bevor sie die Richtige treffen, ein neues Auto erfinden, ein Geschäft eröffnen oder was auch immer. Sie haben Zeit, die Fehler wiedergutzumachen, die sie begingen, als sie es nicht besser wussten.
Ich sitze mit dem fest, was ich bisher gemacht hab und die nächsten zehn oder zwölf Monate machen werde. Das ist wie bei meinem Namen, es wird mit strengstem Maß gemessen. Manchmal denke ich, dass ich die Zeit nicht mal mit Schlafen vergeuden sollte. Die Zeit reicht nicht aus, um all die Dinge zu tun, die ich mir vorgenommen habe, bevor ich krank wurde.
Vor fünfundzwanzig, dreißig Jahren, als meine Eltern noch Teenager waren, 45er-Schallplatten kauften und hofften, dass beim Übernachten jemand Gras mitbringt, kriegten nur kleine Kinder Leukämie. Es gab Poster mit diesen kahlen Köpfen drauf. Alle kannten die. Niedliche, lächelnde Kinder ohne Haare. Aber jedes Jahr waren es andere Kinder. Und dafür gab es einen Grund.
Als die Leukämie mich fand, waren die Krankenhäuser voll mit Krebspatienten in jedem Alter. Ein Teenager mit Leukämie war nichts Besonderes mehr. AML oder »akute myeloische Leukämie
«,
wie meine Mutter mich immer korrigiert, als würde der offizielle Name es einfacher machen zu akzeptieren, dass ich in einem Jahr tot bin.
Man kann es sich schwer vorstellen, weil Formalitäten eigentlich nicht ihre Stärke sind, aber sie besteht auch bei anderen auf diesen präzisen medizinischen Ausdruck. Auf irgendeine seltsame Weise ist das wohl eine Art Schutz. Keiner ihrer Söhne kann von so etwas Profanem wie Krebs besiegt werden.
3
Ich schreibe das alles hier im Sommer nach dem Wechsel ins neue Millennium. Was für ein Reinfall! Das Jahr-2000-Problem war ja wohl der größte Flop seit Urzeiten! Und niemand, besonders ich, macht sich für den Rest des Jahrhunderts noch große Hoffnungen. Ich meine, die Kroaten töten die Serben, die Russen haben in Tschernobyl alle verstrahlt, weigern sich aber immer noch zuzugeben, dass es ihre Schuld war, und Saddam Hussein erschießt weiterhin Leute und verscharrt sie am Straßenrand, weil ihm nicht gefällt, wie sie ihre Sarongs wickeln oder wie auch immer diese Kopfbedeckung heißt, die die Leute in Wüstenländern tragen, um keinen Sonnenstich zu kriegen.
Das einzig Gute am Millenium-Bug war, dass alle mal innehalten und über die Zukunft nachdenken mussten. Ihre ideale Zukunft. Diejenigen, die dachten, es sei das Ende der Welt, diejenigen, die dachten, sie würden all ihr Geld verlieren, weil die Banken ihre Konten einfrieren und die Börse zusammenbricht, diejenigen, die dachten, jetzt übernehmen die Terroristen die Macht: Sie alle waren gezwungen, ihr Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Letzten Herbst haben wir bestimmt in jedem Fach etwas darüber geschrieben. Wenn also jemand fragt, wie es mir mit der KRANKHEIT geht, sage ich: »Es ist wie mit dem Millenium-Bug, nur auf persönlicher Ebene.«
Um euch die Wahrheit zu sagen: Im Vergleich zu Holdens Leben ist meines einfach. Eigentlich im Vergleich zum Leben vom ganzen beschissenen Rest der Welt. Ein Erwachsener würde sagen, das ist doch gut, aber ich weiß es besser. Und HC auch. Erwachsene hassen Komplikationen, auch wenn sie es sind, die das Leben interessant machen.
Also, Leukämie. Hier sind die Fakten. Die meiste Zeit über fühlst du dich beschissen. Du wirst zur totalen Flasche. Zumindest behauptet Nick das, weil ich nicht mehr wie im letzten Sommer mit ihm Kicken gehe. Es hat keinen Sinn, ihm zu erklären, dass das mehr damit zu tun hat, dass ich aus solchen Spielen rausgewachsen bin, als mit der KRANKHEIT. Außerdem schlafe ich mehr.
Schlafen hilft, weil du vergisst. Das Problem ist, du wachst nicht fitter auf, als du beim Hinlegen warst. Und du vergisst nur für kurze Zeit. Du siehst aus wie ein Gerippe und wirst schwach. Mack sagt, ich seh schon aus wie Mick Jagger. Du musst alle Aktivitäten mit anderen absagen, weil du zu müde bist. Oder andere Eltern tun so, als hättest du die Krätze. Oder du bist es leid, ihre Fragen zu beantworten. Und wenn sie dir auf die Schulter klopfen, bist du es leid, dich zum Lächeln zu
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