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Fänger, gefangen: Roman

Fänger, gefangen: Roman

Titel: Fänger, gefangen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Collins Honenberger
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zwingen, anstatt deine Zähne in ihre Hände zu schlagen.
    Die Ärzte sitzen nur rum und schütteln den Kopf, als hätten sie keine Ahnung, was bei dir wirkt und was nicht. Dann sagen sie dir, was sie den anderen Krebspatienten auch sagen: Der braucht Chemo, die braucht Bestrahlung. Als ob jeder genau wissen müsste, was das bedeutet. Und dann freudig drauf zuspringt, als wär’s Zuckerwatte oder ’ne Freifahrt in der Achterbahn.
    Es fühlt sich an, als würdest du in einem Science-Fiction-Film leben,
Krieg der Sterne am Rande des Universums in der Mayo Klinik.
Es kommen fast nur viersilbige Wörter aus ihrem Mund, Wörter, die du nie zuvor gehört hast. Dann ist da diese ganze neumodische Technik, und eh du dich versiehst, fängst du an zu hoffen. Irgendwann, schon sehr bald, werden sie dich durch eine Metallröhre schieben und deinen alten Körper ganz neu zusammensetzen, heil und gesund, wie bei einem beschissenen Seestern, wo die Arme auch einfach wieder nachwachsen.
    Das ist das Märchen, das du glauben sollst. Und es ist verlockend.
    Ich sag euch jetzt, wie es wirklich läuft. Zuerst sagen sie dir, dass du krank bist. Ach was! Das weißt du sowieso schon, weil du dich entsprechend fühlst. Dann jagen sie dich durch so ungefähr jedes Gerät imKrankenhaus. Manchmal in mehr als einem Krankenhaus. Sie nehmen Proben von allen erdenklichen Stellen deines Körpers, mit superlangen Nadeln, und sie fotografieren jedes einzelne Körperteil und zeigen die Bilder dann jedem Arzt und jeder Schwester im Umkreis von hundert Kilometern. Privatsphäre? Dass ich nicht lache! Privatsphäre bedeutet diesen Pseudoüberfliegern gar nichts. Und danach? Schicken sie dich nach Hause, und du fühlst dich immer noch beschissen.
    Deine Eltern sind nachts wach und streiten und werfen mit Sachen. Das geht wochenlang so. Sie werden wütender. Du wirst kränker. Das macht sie noch wütender. Dann, wenn du endlich aufwachst und erkennst, dass es kein Film ist, sondern echt, wirst
du
wütend. Aber du musst trotzdem weiter deine Hausaufgaben machen und deine Klamotten aufräumen.
    Und wenn du Eltern hast wie meine, dann trauen sie den Ärzten nicht, weil diese Ärzte ein Teil der Maschinerie der großen bösen Pharmakonzerne sind. Die alle im Bund mit der großen bösen Regierung stehen. Also lehnen deine Eltern alle Ratschläge ab und reden mit unbekannten Gurus in den Anden oder in Yucatán über Naturheilmittel, und am Ende isst du Boysenbeeren, püriert mit irgendwelchen seltenen Enteneiern.
    Leukämie ist absolut unterirdisch.
    Aber ich greife vor. Und Holden wird sauer, wenn ich die Passagen über ihn auslasse. Und die lustigen Stellen. Er ist derjenige, von dem ich gelernt hab, dass Bücher ohne lustige Momente nicht real sind. Weil das Leben ebenfalls lustige Momente hat, auch wenn die Leute sich gegenseitig nerven oder schlimme Dinge passieren. Wenn meine Englischlehrerin aus der Neunten, Stratford-Mains, korrigieren würde, was ich bislang geschrieben hab, dann kann ich schon hören, was sie dazu sagen würde. Ich weiß, ich weiß, Stratford-Mains klingt wie ein englisches Dorf in einem alten Schwarz-Weiß-Film. Wir nannten sie auch immer Stepford-Hanes, weil ihr Make-up immer so perfekt war wie bei denperfekten Cyborg-Frauen von Stepford – kennt ihr den Film? – und weil sie jeden Tag Rock und Strümpfe trug. Sie war die absolut einzige Lehrerin auf der Mittelschule, die keine Hosen trug. Und sie hatte tolle Beine, wie diese Models aus der Unterwäschewerbung von Hanes.
    Wäre sie die Redakteurin dieses Textes, würde sie sagen, er müsse mehr zeigen und weniger erzählen. Ich werde mich auch noch mehr anstrengen, aber ich muss erst mal die Grundlagen erarbeiten. Es ist leichter, ein paar Sachen gleich vorweg zu erzählen. Und irgendwann komme ich dann zur ganzen Wahrheit, wie dieser
Ich-bin-kein-Verbrecher-
Nixon, ein abartiger Typ, den wir bis zum Erbrechen im Fach Amerikanische Geschichte durchgenommen haben. Pervers.
    Als Dad nach mir ruft, stöpsele ich mich vom Discman ab. Trotz der Zurück-zur-Natur-Philosophie, die meine Eltern mir ständig einbläuen, darf ich zumindest halbwegs moderne Technik zum Musikhören nutzen. Bei aller Phobie vor Mikrowellenstrahlung und der neuen Generation hirntoter Videospieljunkies macht Mom hier eine Ausnahme. Und es ist auch mehr die Musik, die sie akzeptiert, als die Plug-in-Elektronik. Durch die offenen Lüftungsschlitze vom Fenster kann ich streifenweise Dads Oberkörper in seinem

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