Fahrstunde in den Tod (Emsland-Krimi) (German Edition)
müssen wir mitnehmen«, sagte Petra Vogt und hielt es der Mutter unter
die Nase, »es ist das Tagebuch Ihrer Tochter.«
»Das
müssen Sie entscheiden. In mir ist etwas zerbrochen; ich habe keine Tochter
mehr.«
Kapitel 52
An der Nödiker Straße verließ sie das Taxi und ging über den
Landwehr in Richtung Waldgebiet. Nach zehn Minuten erreichte sie die Jagdhütte,
in der alles begonnen hatte. Diese Hütte zog sie magisch an und der Schlüssel,
den Gerd ihr gegeben hatte, brannte wie Feuer in ihrer Hand. Niemandem war sie
auf dem Weg begegnet, sie öffnete die Tür, brach das Polizeisiegel und trat
ein.
Eine
abgestandene, muffige Luft schlug ihr entgegen. Sie ließ die Tür angelehnt,
öffnete ein Fenster, nahm ein Glas aus dem Schrank, füllte es mit Wasser und
setzte sich an den Tisch. Corinna war angekommen. Hier, wo alles begann, sollte
es enden. Sie nahm die Schachtel mit den Schlaftabletten und das Handy aus der
Tasche. Aus dem Handy entfernte sie den Akku und warf ihn in eine Ecke.
»Schluss
damit!«, rief sie laut und drückte anschließend die Tabletten aus der
Verpackung. Sie legte sie nebeneinander wie bei einer Perlenkette aufgereiht
vor sich hin. Aus der Schublade unter dem Tisch zog sie einen Block und
Bleistift hervor. Alle sollten wissen, weshalb sie ihren geliebten Gerd
erstochen hatte. Es sollte eine Beichte und ein Abschiedsbrief werden. Sie
konzentrierte sich, wurde ganz ruhig, ließ ihren Gedanken freien Lauf. Dann
schluckte sie die erste Tablette und begann zu schreiben.
Ich
heiße Corinna Becker und was ich aufschreibe, ist die Wahrheit! Mama wollte
nicht, dass ich den Führerschein mache, aber meine Firma. Wie eine Idiotin
gekleidet, mit knielangem Rock, blickdichter Strumpfhose und dunklem Pullover
bin ich im August 2012 zum ersten Unterricht gegangen.
Die
Fahrschüler haben mich angeglotzt, als käme ich von einem anderen Stern. Es war
heiß an dem Tag. Trotzdem hatte ich die dunklen Sachen an. Ich kann mich noch
genau an das Getuschel und Gegrinse der Jungs neben mir erinnern. Nach dem
Unterricht habe ich mit Gerd die Anmeldung ausgefüllt und er hat mich gefragt,
ob es mir nicht zu warm in den Klamotten sei. Ich blöde Pute habe auch noch
›ja‹ geantwortet. Er hat gelacht und gesagt: »Das kann man ändern!«
Als
ich wieder zu Hause war, habe ich mir die Sachen vom Körper gerissen und
beschlossen, ein neues Leben anzufangen. In meinem Bett habe ich Rotz und
Wasser geheult.
Corinna
begann zu weinen und schluckte die zweite Tablette. Tränen rannen durch ihr
Gesicht und tropften auf den Block. Sie wischte sie weg und schrieb weiter.
Mama
hat gestaunt, als ich mir komplett neue Sachen zulegte. Sie sprach von
Teufelszeug und ob man so was heute tragen müsste. Es wäre unchristlich und
Vater würde sich im Grab umdrehen; dass sie das alles noch erleben müsste.
Fünfmal hat sie sich bekreuzigt, als ich neu gestylt eine Woche später zum
Unterricht gegangen bin. Meine Haare habe ich blond gefärbt und die geilen
Blicke der Jungs waren mir anfangs peinlich. Mit der Theorie war ich schnell
fertig und freute mich auf meine erste Fahrstunde.
Mit
dem Ärmel fuhr sie sich durchs Gesicht und trocknete die Tränen, dann griff sie
zum Glas und warf die dritte Tablette ein. Noch verspürte sie keine Wirkung,
sie war hellwach und dachte an die erste Fahrstunde.
Gerd
hat mich zu Hause abgeholt und ist mit mir irgendwo über die Landstraßen
gefahren. Er lobte mich ständig, weil ich so schnell kapierte. Mir war
aufgefallen, dass er meine Hand berührte, wenn ich schalten musste, das machte
er auch noch, als ich es perfekt konnte. Ich fand seine Berührungen angenehm
und sagte nichts. Beim Aussteigen vor unserer Haustür berührte er mit dem Arm
meine rechte Brust. Wie ein Stromschlag durchfuhr diese Berührung meinen
Körper.
Jetzt
weiß ich, dass es Absicht von ihm war. Noch nie hatte mich jemand an der Brust
berührt. Mit Männern hatte ich keine Erfahrungen, ich war Jungfrau! Er sah in
mir ein williges Opfer und wollte nur eins: Mich herumkriegen! Ich blöde Pute
habe es da noch nicht gewusst. Lange habe ich wachgelegen und mir vorgeworfen,
es wäre meine Schuld, hatte ich ihn geil gemacht?
An
der Jagdhütte fuhr ein Motorrad vorbei, das laute Geräusch holte sie in die
Realität zurück. Sie erschrak, stand leicht benommen auf und ging mit
wackeligen Beinen auf die Toilette. Als sie zurückgekehrt war, schluckte sie
die vierte und die fünfte Tablette gleichzeitig. Das leere Glas
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