Fahrt ohne Ende
vielleicht fest; zwei Mann müssen hier an der Hütte bleiben, die andern da links ‘rüber«, Wolf rannte schon los.
Sehen konnte man nicht, was dort drüben vor sich ging, dazu wai\ es zu dunkel. Also lief alles dort hinüber, auch die gerade ankommenden Jungen der anderen Gruppe, mit Pit an der Spitze. Als sich dort im Walde gerade die heftigste Schlacht entwickelt hatte und jeder den Gegner mit Bergen von Schnee in die Flucht zu schlagen versuchte, war von der anderen Seite der Lichtung ein Schrei zu hören.
Was mochte da nun wieder geschehen sein? Die Jungen beider Parteien rannten hinüber.
Sofort war wieder von der eben verlassenen Stelle ein Schrei zu hören. Da stimmte doch etwas nicht I Wolf entdeckte es als erster: das waren Tim und Kostja, die saßen — auf jeder Seite der Lichtung einer — auf den Bäumen und jagten sie hin und her.
So war es in der Tat. Als man die beiden Bäume gefunden hatte, wurde beiden »ein ehrenvoller Abstieg« vom Baum gewährt, unter der Bedingung: Schneeballschlacht zwischen Tim und Kostja auf der einen Seite und der übrigen Horte auf der andern Seite.
Die Bedingung wurde angenommen und Tim und Kostja in einem heißen Kampf mit Schneebällen beinahe zugedeckt. Dann zog man gemeinsam in die Hütte ein. Die nassen Kluften wurden ausgezogen und um den Hüttenherd zum Trocknen gehängt; die Jungen drängten sich möglichst dicht zusammen um das Feuer.
Und Kostja erzählte: von Lappland, von den Ländern des Nordens, von den Eskimos, die zur Tanztrommel das Lied vom großen weißen Bären singen, der in der Winternacht an den Fenstern der Hütte kratzt...
Er erzählte von den Märchen aus Alaska, wie Knud Rasmussen sie aufgeschrieben hat, und sie sangen die schwermütig-klaren Weisen der nordischen Länder.
Draußen fror die Nacht. Der Schnee türmte sich auf dem Fensterbrett der Hütte. Im Herd zischte es dann und wann, Holzrauch füllte die Hütte.
Da steckte Kostja eine Kerze an; Hepp las eine Weihnachtslegende vor, und nachher sangen und spielten sie all die schönen alten Weisen, Weihnachtslieder, die fast schon vergessen waren in dem lauten Getriebe dieser Zeit:
Kindelein zart, von guter Art,
schließe die Äugelein, schlafe.
Draußen im Hain, liebs Kindelein,
weiden die frommen Schafe...
Und das Lied, das Peter und Rainer so fein auf ihren Flöten begleiten konnten:
Maria durch ein‘ Dornwald ging,
Kyrie eleison...
Das war die schönste Stunde des Winterlagers. Ganz zuletzt las Wolf den Brief Jürgens vor, den er vor der Fahrt ins Lager erhalten hatte:
... wenn es irgendwann recht schwer ist, nicht zu Haus sein zu können, dann in den Weihnachtstagen. Sicher, auch hier an der Front, in unserer Kompanie, haben wir so etwas wie eine Weihnachtsfeier — aber das ist eine Feier, die nur noch mehr die Sehnsucht nach der Heimat weckt.
Es ist schade, daß ich keinen Urlaub bekommen konnte. Es tut mir leid vor allem auch Euretwegen. Aber ich wäre nicht froh darüber gewesen, wenn ich meinen Urlaub nur dann erhalten hätte, wenn ein anderer, vielleicht einer, auf den zu Haus seine Kinder warten, dafür zurückgestanden wäre. Ich habe auch das Gefühl, daß ich gerade Weihnachten hier draußen notwendiger bin als in der Heimat, nicht um der Front willen, aber um der Menschen willen, die hier der Hilfe des Kameraden bedürfen.
Ich möchte gern mit Dir und Euch allen zusammen sein und die alten Lieder hören und singen, ja. Aber nicht die Erfüllung unserer Wünsche ist das Notwendigste.
Schluß für heute. Gerade bekommen wir Einsatzbefehl. Es grüßt Euch alle
und wünscht Euch die Gnade des Christkindes
Euer Jürgen.
13. Kapitel
DIE GROSSE BRÜCKE
DIE GRUPPE HOCKTE auf Hepps Bude. Es war im Frühjahr 1943. Sie wählten für ihre Runden jetzt immer öfter Hepps Bude, denn hier waren sie am sichersten. Wenn während der Runde Alarm gegeben wurde und sie in den Lufschutzkeller steigen mußten, so sollte das nach Möglichkeit ein Keller sein, in dem keine fremden Leute saßen und die Schar von Jungen anstaunten. Und die beste Lösung war deshalb Hepps Zuhause, denn in dem Haus wohnte sonst keiner, außer Hepps Eltern und Geschwistern.
Im Februar 1943 war etwas geschehen, was die wenigen illegalen Gruppen noch mehr in die Verborgenheit trieb: die Widerstandsgruppe der Münchener Studenten um die Geschwister Scholl war entdeckt und ihre Mitglieder vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt worden.
Hepp hatte heute in der Runde
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