Fahrt ohne Ende
Bilder von Franz Marc gezeigt, die im Dritten Reich verpönt waren, und er hatte aus den Feldpostbriefen des Malers vorgelesen.
Als Hepp in seinem Schrank unter seinen Sachen herumwühlte, war dabei eine Hektographenplatte zum Vorschein gekommen.
»Was ist denn das für ein merkwürdiges Ding?«
Hepp erklärte, was man damit machen konnte.
»Ja, Menschenskind, weshalb hast du das nicht eher gesagt, damit können wir ja die tollsten Sachen fabrizieren«, rief Wolf.
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, fragst du noch? Wir könnten unter anderem«, Wolf sprach unwillkürlich leise, »wir könnten Texte vervielfältigen, Auszüge aus den ,Blättern der weißen Rose’ (dem Brief der Scholl-Widerstandsgruppe) und so etwas. Wenn das jemals notwendig war, dann jetzt!«
»Außerdem sind im Augenblick die Leute auch ein bißchen hellhörig geworden, durch Stalingrad, durch die Münchener Geschichte!« fügte Klaus hinzu.
Das war wirklich ein Gedanke. Sie stellten sogleich die Texte für zwei Seiten im Schreibmaschinenformat zusammen: Auszüge aus den »Blättern der weißen Rose«, einen Abschnitt aus der Predigt eines deutschen Bischofs und einiges andere. Als Motto setzten sie darüber ein Wort von Thomas Morus:
Ich habe nie daran gedacht,
einer Sache meine Zustimmung zu geben,
die gegen mein Gewissen gewesen wäre!
Am nächsten Nachmittag schon gaben sich Hepp, Wolf, Peter und Teddy an die Arbeit.
Die ersten Abzüge von ihrer Hektographenplatte waren eine große Schmiererei. Die drei anderen wollten schon aufgeben, aber Hepp war in solchen Dingen ja Fachmann, und der meinte:
»Wartet nur noch etwas, dann wird die Sache schon!«
Es erwies sich, daß er recht hatte: schon bald gab es die klarsten und prächtigsten Abzüge!
Sie bekamen einen ganz ansehnlichen Stoß von Abzügen.
»So, jetzt reicht‘s, mehr kann die Platte auch nicht leisten«, bestimmte Hepp, »jetzt wollen wir die Sachen verstauen und dann etwas gegen das ,Corpus delicti‘ tun«, und er besah sich seine reichlich mit Hektographentinte beschmierten Hände.
* * *
Die Texte, Dokumente des anderen, geheimen Deutschlands, tauchten in den folgenden Wochen überall in der Stadt auf. Sie wurden in Briefkästen geworfen, unter Haustüren hergeschoben, in öffentlichen Fernsprechzellen liegen gelassen, ja sogar die Dienststellen der Hitler-Jugend wurden mit ihnen bedacht. Der Bannführer tobte:
»So eine Unverschämtheit, wenn wir den hätten, der das gewagt hat! Sofort weg mit dem völlig unsinnigen Zeug, lohnt sich gar nicht, auf solche defaitistische Hetzerei auch nur einen Blick zu verschwenden!«
Sein Adjutant klappte die Hacken zusammen und sagte: »Jawohl!« Nachher, als er allein in seinem Dienstraum war, nahm der Bannführer vorsichtig das Blatt wieder heraus und las es sehr sorgfältig. Dann saß er ein paar Minuten da, die Augen ins Leere gerichtet...
* * *
Im Sommer 1943 schrieb Jürgen einmal:
Wolf!
Ich habe Deinen Brief hier vor mir liegen. Und ich will Dir gleich antworten, ehe wir wieder zum Einsatz ‘rausgeholt werden. — Die Penne ist also schon ziemlich leer. Ihr seid den halben Tag und auch des Nachts vom Lutschutzdienst und Noteinsatz in Anspruch genommen, und Du bist unzufrieden mit dem trotzdem so sturen und manchmal unsinnigen Betrieb in der Penne. Tu, was von Dir verlangt wird, Wolf. Aber nimm die Penne und all das, was damit zusammenhängt, nicht zu wichtig. Wichtig ist eigentlich nur eins: daß Du Dich selbst nicht verlierst. Unsere Kompanie hier heißt » Frontbewährungskompanie «. Zuerst habe ich diesen Namen gehaßt. Aber jetzt denke ich anders darüber. Keine Sorge: an die »Helden«, die in »heroischem Einsatz « sich an der Front des Krieges bewähren, glaube ich nicht. Daran glaubt keiner von uns hier draußen. So was steht nur auf dem Papier. Aber bewähren müssen wir uns alle. Heute oder nie. Nur: die Fronten liegen meist ganz woanders, als man uns glauben machen will. — Tapfer und unbestechlich — das Wort gilt immer noch.
Dir und der Gruppe einen herzlichen Gruß —
Jürgen.
* * *
Seit etwa einem Jahr war in Wolfs Klasse ein Neuer. Er hieß Hans, war begeisterter Hitlerjunge und — wie sich allmählich herausstellte — auch ein tüchtiger und ordentlicher Kerl. Wolf war seit kurzem so etwas wie befreundet mit ihm. Zuerst hatten sie sich natürlich gegenseitig abgelehnt: Wolf den Hans, weil der ja HJ.-Führer war, und Hans den Wolf, weil er als fanatischer
Weitere Kostenlose Bücher