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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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die Beach Boys«, sagte Theresas Vater zu Hüseyin, »kennen Sie das?«
    »Ja«, sagte Hüseyin.
    »Das ist aber nicht dein neuer Freund, oder?«, flüsterte Theresas Mutter verschwörerisch.
    »Nein, Mama.«
    Ihre Mutter beobachtete, wie sich das Foyer allmählich mit Leuten füllte.
    »Aber er ist nett. Und sieht auch gut aus. Ich hätte nichts dagegen, wenn du einen türkischen Freund hättest. Dein Vater auch nicht. Vorausgesetzt, der Junge behandelt dich gut.«
    »Mama.«
    »Das musst du selbst entscheiden. Wir mischen uns da nicht ein.«
    Ihr Vater verwickelte Hüseyin derweil in ein Gespräch über die fehlgeschlagene Integrationspolitik der siebziger Jahre.
    »Wir waren ein paarmal in Istanbul, das hat uns gefallen, sehr schöne Stadt, schöne Lage am Fluss! Der Bosporus, nicht wahr, und die Hagia Sophia. Das ist schon beeindruckend. Sind Sie noch öfters da, bei der Familie?«
    Ein Mann in Wildlederschuhen wippte durch das Foyer, dahinter drängte eine Gruppe älterer Damen in den Raum, die ihre Knirps-Regenschirme trockenschüttelten.
    Als sie den Saal betraten, war unten auf der Theaterbühne alles in ein aufmunterndes Hellblau getaucht. Die Moderatorin trat ins Rampenlicht und stellte den Dichter vor. Theresas Mutter kicherte, auch ihrem Vater schien die Moderatorin zu gefallen.
    »Die ist gut«, murmelte er und kratzte sich an seinem Bart, »die ist gut.« Die beiden amüsierten sich prächtig. Theresa schaute Hüseyin mit dunklen Augen an; sie wirkte kleiner als sonst; sie war jetzt wieder zwölf.
    Als sie aus dem Theater kamen, regnete es immer noch. Am Bockwurststand pumpte ein Polizist Senf auf seinen Plastikteller. Hüseyin verabschiedete sich. (»Also, er ist wirklich sehr höflich«, sagte Theresas Mutter angetan, »und auch durchaus reflektiert in dem, was er sagt.«)
     
    Er traf Diana in einem Café neben dem Fitnessstudio. Sie hatten sich seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen, und Diana sah nicht gut aus. Sie war blass und kaute auf den Fingernägeln.
    »Es ist alles so sinnlos«, jammerte Diana.
    »Was ist mit deinem neuen Freund?«, fragte Hüseyin.
    »Er ist nett. Gut, er trägt einen Schnurrbart. Er sagt, das sei ironisch gemeint. Es geht, tagsüber; aber wenn ich morgens aufwache, möchte ich im Gesicht meines Freundes keinen Schnurrbart sehen.«
    »Und sonst?«
    »Er ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass ich morgens in ein Büro fahre, in dem mich ein Fotograf empfängt, der mich bittet, ein Foto, das vier singende Vollidioten auf einem Segelboot zeigt, in ein Layoutformat einzupassen und vier Probeausdrucke mit gelber, grüner und blauer Schrift zu machen, jeweils in verschiedenen Punktgrößen. Dass ich mit den Ausdrucken dann nach Abu Dhabi fliegen und mich noch von dort aus außerdem um eine Kampagne für ein Sommerbier mit Zitronenzusatz kümmern muss. Hast du schon mal Bier mit Zitronenzusatz getrunken? Mach es nicht. Ich hab es so satt. Ich möchte irgendetwas Sinnvolles machen. Vielleicht sollte ich nach Südamerika gehen und …«
    »Was willst du denn ausgerechnet in Südamerika?«, fragte Hüseyin, den die Vorstellung vom schnurrbärtigen Freund ärgerte.
    »Das ist es ja«, flüsterte Diana. »Niemand kann mich dort brauchen. Weil ich nichts kann. Ich kann gar nichts. Ich bin jetzt einunddreißig. Meine Eltern haben ungefähr vierhunderttausend Mark in mich investiert, um aus mir einen glücklichen, selbständigen Menschen zu machen. Sie haben alles, was sie hatten, für ihre Tochter ausgegeben. Ich habe dreihundert Blusen zerschlissen, sieben zu Koteletts portionierte Kühe aufgegessen, achthundert Liter Wein, Bier und Evian getrunken, mein Papa hat mir etwa zweitausend Gutenachtgeschichten vorgelesen, mir Radfahren und S-Bahn-Fahren und Autofahren beigebracht, mir neunzehn Weihnachtsgeschenke, zwanzig Geburtstagsgeschenke und vierunddreißig Schlümpfe gekauft, meine Mutter war auf etwa siebenundsechzig Elternabenden, hat mir jedenMittag Essen gekocht, mir ein Dutzend Praktikumsplätze besorgt, mir sieben Jahre lang zweitausend Mark monatlich fürs Studium überwiesen, mich jeden Tag angerufen, um zu fragen, wie es mir geht – und all das, damit ich am Ende einen bekloppten Eventkulturmanager in eine Wüstenstadt begleite und gelbe oder grüne Schriftzüge über einem Foto von vier biertrinkenden Vollidioten plaziere.«
     
    Diana brach in Tränen aus, wischte sie mit dem Handballen fort und verteilte die zerlaufene Mascara quer über ihr Gesicht. Jetzt sah sie

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