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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Verlassen Sie sofort die Uferschwimmblattpflanzenzone, oder ich hole die Polizei.«
    »Du warst mal Grenzer, was?«, rief Bergsson zurück. Sie stand bis zu den Knien im Schlamm. Der alte Mann versuchte, auf ihre Brüste zu schauen und gleichzeitig auch nicht.
    »Sie dürfen hier gar nicht schwimmen! Und textilfrei ist hier auch nicht!«
    Bergsson machte einen Versuch, sich an einem Weidenast aus dem Schlamm an Land zu ziehen. Der alte Mann schlug mit der Stange auf den Ast, der Ast schnappte hoch, und sie landete im Morast.
    »Du DDR-Nazi«, schrie sie, »kriegst jetzt gleich mal richtig eins in die Fresse.«
    Sie bekam eine Portion Schlamm zu fassen und schleuderte sie auf den Alten. Der Schlammklumpen eierte durch die Luft und traf den Mann am Kopf.
    »Treffer«, sagte Hüseyin sachlich.
    Der Mann stieß einen heiseren Laut aus, wich ein paar Schritte zurück, fluchte etwas Unverständliches und kreischte: »Raus aus der Uferschwimmblattpflanzenzone! Haut sofort ab, oder ich knall euch alle ab!«
    Dann verschwand er im Dickicht.
    »So«, sagte Hüseyin ruhig. »Jetzt gehen wirraus.«
    »Das machen wir nicht«, sagte Bergsson. »Ich kenne solche Typen. Der erteilt sich gerade selbst den Schießbefehl. Der holt jetzt eine Waffe.«
    Sie schwammen zurück. Als sie aus dem Wasser kamen, dämmertees. Ein Mann saß mit einer Frau am Ufer und schaute in den Himmel. Er trug nichts außer einem Strohhut. Während Hüseyin und Bergsson sich anzogen, deutete er in den Himmel und sagte:
    »Wie klein man ist. Was für eine Weite.«
    Die Frau neben ihm nickte andächtig.
    Vor dem Haus parkte ein amerikanisches Paar seinen Toyota Prius. Es waren Freunde von Günter, die Birgit um den Hals fielen, als hätten sie nicht mehr damit rechnen können, sie je wiederzusehen.
    »So what did you do today?«
    »Pilze sammeln«, sagte Birgit. »I picked mushrooms.«
    »You picked mushrooms in the forest ?«, quietschte die dicke Amerikanerin, breitete die Arme aus und schüttelte den Kopf, wie man es bei einem Kind tut, das etwas Ungeheuerliches zustande gebracht hat.
    »Oh my god, I can’t believe it. That is incredible. Mushrooms in the forest. How romantic!«
     
    Günter machte ein Lagerfeuer. Die Wochenendgesellschaft setzte sich mit Weingläsern auf den Rasen, und im Schein des Feuers begann eine Lesung. Ein kleiner, hagerer Mann wurde als Dichter vorgestellt und las etwas Assoziatives vor (»Ein Typ mit so einer spitzen Nase, der Gedichte vorträgt – das ist wirklich scheußlich«, flüsterte Bergsson).
    »Ich möchte euch erzählen / von einem dunkeln Strand«, begann der hagere Mann und holte tief Luft; dann schleuderte er, wild hinter sich in die Luft greifend, eine endlose Wortkaskade heraus, die mit den Worten »letzter Gruß / ein Wind aus deinem alten Leben / als du jung warst als du nicht wusstest / was es bedeutet im Schlaf / zu werden« endete. Es gab ein anerkennendes Nicken in der Runde.
    »Das ist wunderschön«, flüsterte Birgit. Günter machte ein langes Gesicht; Gedichte waren nicht seine Sache, und er wusste nicht, warum seine Frau solche Typen einlud. Er schnaufte und rutschte unbehaglich auf seinem Sitzkissen herum; diese Leute würden gleich seinen Wein saufen und sein Fleisch fressen. Er freute sich, dass die Arschlöcher in seinem Garten bloß das Zeug von Kaiser’s tranken: Zum Glückhatte er einen wirklich sehr billigen Bordeaux im Sonderangebot bekommen, und das Grillfleisch war auch heruntergesetzt gewesen.
     
    Die Leute tranken Unmengen; als Hüseyin sich gegen eins im Garten umschaute, sah er, wie Birgit und der Neurologe sich gegenseitig Kirschen an die Stirn hielten; ein paar Meter weiter hinten lag ein Paar mit glasigen Augen.
    »Wärst du lieber Fisch oder Vogel?«, fragte der Mann.
    »Ich glaube, als Vogel ist es schöner.«
    »Ich will was von der Welt sehen«, murmelte der Mann.
    »Das kann ein Fisch auch, wenn er im Meer lebt.«
    »Was redet ihr denn da für ein Zeug«, sagte Bergsson.
    Der Mann verstummte. Dann drehte er sich langsam zu Bergsson um und schaute sie erstaunt an.
    »Stell dir mal vor, es gäbe kein Wasser, nur Erde.«
    »Und?«
    »Keine Fische. Nur Würmer«, sagte der Mann traurig und fiel zurück ins Gras.
     
    Günter erschien im Türrahmen, er war kalkbleich. »Was habt ihr Birgit gegeben«, rief er.
    Hinter ihm torkelten der Neurologe und Birgit ins Haus. Sie hielten gemeinsam eine verkohlte Bratwurst in die Höhe, die sie aus dem erloschenen Grill gezerrt hatten. »Ich bin

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