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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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meiner
unterbunkerten und umstellten Gegend reiften und wüteten - in anderen
Bandenformationen als ich oder Dschagarow - unter anderem auch die rabiaten
Monik-Brüder. Diese beiden hatten eine Schwester, die ich damals persönlich
leider nicht kannte. Sie hieß Libuse Monikovä und sollte viel später eine
bekannte Schriftstellerin werden. Libuse war in ihren jungen Jahren, wie ich
jetzt weiß, im Gegensatz zu ihren Brüdern ein eher sanftes Wesen. Sie war um
einiges älter als ich und fiel damals auch anderen Zeitgenossen nicht
sonderlich auf - in motorisch-negativer Hinsicht wie ihre Brüder schon gar
nicht. Der große Fünfzack hat uns allerdings alle geprägt.
    Die
Baustelle des Bunkers wurde irgendwann fertiggestellt und anschließend mit
Erdreich abgedeckt. Die entsprechende Ecke des Park wurde wieder begrünt.
Oberirdisch sichtbar blieben dort nur die vergitterten und in
Friedenszeitennicht verbarrikadierten Schächte der Belüftungsanlage. Diese
breiten Öffnungen wurden geschickt in einen Teil der alten Festungsmauer eingelassen.
So etwas wie einen Eingang für das Volk gab es nicht. Unweit des Bunkerareals
standen damals noch die kubistischen, schwarzgetünchten Holzbaracken des
Studentenwohnheims KOLONKA. Dort hatte Anfang der fünfziger Jahre - also vor
und nach meiner Geburt - der Schriftsteller Milan Kundera gewohnt, gelernt und
als studentischer Vertreter gewirkt. An Dramatik hat es in meiner Gegend nicht
gemangelt.
     
    man
wärmte sich die hände im Schneegestöber
    Nach dem
Einmarsch der befreundeten Armeen begann - wie schon berichtet - der
massenhafte gesellschaftliche Abstieg der landeseigenen Eliten. Mutters
Chefredakteur und etliche andere ihrer Kollegen wurden Fensterputzer oder
einfache Arbeiter, viele Schriftsteller verschwanden in Heizungskellern,
Historiker, Politologen und Philosophen mußten sich umgewöhnen und an ihren
Werken nachts arbeiten, weil sie Nachtwächter geworden waren. Die gefährdeten
Meinungsführer emigrierten vorsorglich - bei weitem aber nicht alle. Der blinde
Klaudius hatte als Behinderter das Recht auf eine Schonfrist und durfte eine
Weile namenlos seinen Untergebenen von früher zuarbeiten; nachdem er
schließlich entlassen wurde, durfte er nur von Blindenwerkstätten beschäftigt
werden. Meine zweisprachig aufgewachsene und viersprachig bewanderte Mutter
wurde Übersetzerin. Wie es damals üblich war, brauchte sie dazu mindestens
einen physisch existierenden und politisch unbelasteten Menschen, der ihr
seinen Namen zur Verfügung stellte - die Übersetzungen wurden dann unter diesem
Namen veröffentlicht. Diese Helfer hießen im Volksmund »Dachdecker«. Sie
kassierten pro forma die Honorare und reichten sie weiter. Mindestens eine
gutwillige Seele auf der Auftraggeberseite wußte auch Bescheid.
    Jeder
gesellschaftliche Aufstieg - oft aber auch schon ein bescheiden organisierter
Nicht-Absturz - wurde in der Nach-Invasionszeit ausschließlich denjenigen
erlaubt, die es mit der Moral nicht allzu streng nehmen wollten. In mir steckte
viel zu viel an sturer, in der Familie tradierter Moral.
    Und ich
hatte niemanden zu ernähren, ich mußte niemandenbeschützen. Ich konnte es mir
leisten, die frisch angebrochene und mit Knochenfäule befallene Zeit mit
Abenteuern zu verbringen, und wünschte mir nichts anderes, als irgendwo ganz
unten zu landen. Meine einzige konkrete Aufgabe bestand darin, mir passende
Härteprüfungen auszusuchen, die zu meiner gründlichen und nicht allzu quälenden
Reifung beitragen würden. Anschließend wollte ich an der Seite einer reizenden
Frau nur noch glücklich werden, mehr nicht.
    Vor mir
lagen lauter unbekannte und aufregend süße Dinge. Im Gegensatz zu den politisch
Abgestraften war ich jung und fühlte mich jeder harten Arbeit gewachsen. Und
von Bohumil Hrabal wußte ich sowieso, daß Glück, Wahrheit und andere
weltbewegende Dinge überall zu finden waren. Von Hrabal wußte damals allerdings
jedermann, wie witzig und lebendig es in den Enklaven der einfachen Leute, in
den schmuddeligen Kneipen und den Quartieren aller möglichen Randgestalten
zugehen konnte. Die unzähligen Schwerenöter aus seinen Büchern waren so etwas
wie Zeitgenossen und Brüder von jedem, der sich in sie beim Lesen verliebt
hatte. Man vermutete sie überall.
    Dazu muß
man wissen: Hrabal schrieb schon seit seiner Jugend, konnte aber unter den
Nazis, anschließend auch unter dem neuen Regime nicht publizieren. Als in den
sechziger Jahren seine Erzählungen nach

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