Faktor, Jan
Blut.
Für einen
Bunker war die südliche Spitze des Letnä-Plateaus aus strategischer Sicht
ideal. Die Prager Burg, der offizielle Sitz des Präsidenten, war relativ nah.
Und mit Hilfe eines entsprechenden Verbindungstunnels konnte auch die nahe
gelegene Militärakademie problemlos eingebundenwerden. Die dort gerade
unterrichtende oder im nahen Generalstabsgebäude sicher oft anwesende
Generalität mußte bei einem atomaren Schlag unbedingt mitgeschützt werden.
Meine Straße befand sich ausgerechnet auf der geometrischen Verbindungslinie
des Bunkers und der Burg, und ich hatte eine Zeitlang das Gefühl, aus der Tiefe
kommendes Knattern von Preßlufthämmern zu spüren. Viele Jahre später war ich
mir so gut wie sicher, diese Geräusche beim Bau der zweiten Prager
U-Bahn-Strecke wiederzuerkennen. Die Metrolinie A wurde tatsächlich direkt
unter unserem Haus gebuddelt - allerdings quer zu der seinerzeit nur
phantasierten Bunkerverbindung zur Prager Burg. Wie ich jetzt weiß, wurde ein
derartiger Geheimtunnel nie gebaut und war nicht einmal geplant worden.
In der
Nähe der zukünftigen zentralen Bunkerblase lagen noch andere, für das Land
überlebenswichtige Gebäudekomplexe. Das fliesenweiß leuchtende Innenministerium
stand protzig nur einen Sprung hinter dem Gelände des Stalindenkmals, das
Amtsgebäude des Ministerpräsidenten und der Regierung lag gleich unterhalb des
»Mauselochs« an der Moldau. Der dazugehörige Eingang in die Eingeweide des
Bergs war hier unten sogar sichtbar - getarnt als ein Tor zu einem
Hochspannungstransformator. In der Nähe befanden sich - und das war mehr als
günstig - außerdem noch das riesige Gebäude der zentralen Planungskommission
und weitere Ministerien, wenn auch am anderen Flußufer. Dort thronte vor allem
auch das eigentliche Machtzentrum des Landes - das Zentralkomitee. Und zum
Zentralkomitee der Partei gehörte nun mal sein zentraler Wasserkopf - das
schlagkräftige Politbüro, das den Schutz zuallererst nötig hatte.
Unter dem
Areal des Stalindenkmals hatte man schon immer ausgedehnte Bunkeranlagen
vermutet. Diese brauchten jetzt mit dem sich weiter ins Berginnere
hineinfressenden Superbunker nur verbunden zu werden. Unsere ganzeGegend war
sowieso schon voller unterirdisch geführter Rohre und geheimer Leitungen. Da
man neben dem Hradschiner Burgareal und dem Veitsdom keinen hohen Schornstein
aufstellen konnte, leitete man die Fernwärme zur Burg und anderen
staatswichtigen Gebäuden aus einem weitentfernten Kraftwerk in Prag 7. Die
Geometrie dieser heißen Verbindungen sah man deutlich im Winter, weil auf ihnen
der Schnee nie liegenblieb. Sichtbar waren diese Spuren besonders auf den
Rasenflächen der Parks. Eine dieser Tauspuren konnte ich direkt aus meinem
Fenster sehen.
Der neue
Bunkerkomplex wurde aber nicht nur beheizt, er war angeblich auch mit jedem
anderen erdenklichen Komfort ausgestattet. Mitten im Berg sollte sich sogar ein
modernes Krankenhaus befunden haben. Und nicht zu vergessen: An der äußersten
Spitze des Letnä-Plateaus stand auch noch die bombastische Kramäf-Villa, die
die Regierung als Gästehaus für hohe Staatsbesuche nutzte. Ein Staatsgast hätte
im Notfall einfach mit dem Fahrstuhl oder mit einer Rutsche in das Innere des
Berges hinabsausen und beispielsweise - wenn er Fidel Castro hieße - in der
klimatisierten Intensivstation des Krankenhauses eine Zigarre rauchen können.
Der ganze
Berg, auf dem sich meine Straße befand, wurde nach und nach also ausgehöhlt und
von innen mit meterdicken Betonwänden ausgekleidet. Das konnte ich aus meinen
eigenen Beobachtungen schlußfolgern. Der im angrenzenden Park Tag und Nacht
arbeitende Förderturm war gut sichtbar, die Zementsilos schickten periodisch
häßliche Staubwolken in die Luft, man hörte pausenlos große Betonmischmaschinen
brummen. Von den Wachen am Baustellentor wurden außerdem in regelmäßigen
Abständen riesige Lastwagen voller Schiefer-, Quarz- und Sandsteingeröll
hinausgewunken. Die stark geschichtete Gesteinsstruktur des Berges kannte ich
gut, beim Klettern in den Hängen - am »Mauseloch« beispielsweise - kam man mit
den gefährlich bröckelnden Pelokarbonat-Schichten oft in Berührung. Die
schwerbeladenen riesigen Laster kamen natürlich nie leer zur Baustelle zurück -
die meisten waren randvoll mit Kies, Stahlruten oder dicken Stahlplatten
beladen.
Mein
Antrieb, sich der Affenbande anzuschließen, speiste sich noch aus einer anderen
Quelle. Es gab Gerüchte, die Partei-
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