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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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durchgehend und trotz vielschichtiger Bedenken
- von dieser Vereinigung stark angezogen gefühlt. Und als es einmal zu einer
vorübergehenden Annäherung gekommen war, war ich überglücklich. Die geplante
Kooperation hatte mir neue Perspektiven eröffnet, und ich konnte hoffen, wieder
vergleichbar aufregende Dinge wie bei der Herstellung der Wurfgranaten zu
erleben. Der Anführer der Bande war niemand sonst als der Bulgare Dschagarow -
der ehemalige erfolglose Verderber unseres kambodschanischen Prinzen. Mit
Dschagarow kam ich nur außerhalb der Schule schlecht klar. In der Schule waren
wir uns wesentlich näher, er war so etwas wie ein Parallelentwurf von mir. Er
hatte wie ich keinen richtigen Vater vorzuweisen und war als Bulgare sogar noch
gebrandmarkter als ein einheimischer Jude. Nur mein kraushaariger zukünftiger
Cliquenkumpel Sternküker - ein Sprößling aus einer hinterkaukasischen Familie -
konnte sich mit ihm als Exot einigermaßen messen. Dschagarow brachte mir in der
Schule die schlimmsten bulgarischen Schimpfwörter bei, allerdings mit der
Warnung, sie auf keinen Fall zu verwenden.
    - Wenn du
so etwas zu einem Bulgaren sagst, schlägt er dich mit den Fäusten tot oder
durchlöchert dich mit einem Maschinengewehr!
    Da er beim
Prinzen keinen Erfolg gehabt hatte, versuchte er nicht nur mich, sondern auch
andere anfälligere Individuen zu verrohen - zunehmend mit Hilfe seiner
exotischen Schimpfwörter. Die allerschlimmste dieser Beschimpfungen klang
lautmalerisch und sogar ausgesprochen maschinengewehr-rhythmisch: »MAMATA
GAMATA PUTKA MRSNA.« Da ich mich etwa vierzig Jahre lang an das Nutzungsverbot
gehalten habe, konnte ich die versprochene Wirkung dieses Zauberspruchs nie
nachprüfen - auch nicht die Richtigkeit dieses phonetisch so eindrucksvollen Satzes.
Heute weiß ich: Dschagarow beherrschte seine Vatersprache nicht wirklich. Eine
dreckige Mutterfotze kommt in dem Spruch zwar vor, vom Ficken ist darin
allerdings - und in einem verbalen Angriff dieses Kalibers wäre dies ein Muß -
nicht die Rede. Und »gama(ta)« bedeutet komischerweise »Tonleiter(die)«. Seinen
magischen Phantasiespruch »Mamata gamata putka mrsna« übersetzte mir Dschagarow
damals frei und einigermaßen richtig als »DIE FOTZE DEINER MUTTER IST DRECKIG«.
Eine Tonleiter fehlte in der Übersetzung allerdings, statt »gamata« hätte es
sowieso »gadna« (widerlich) heißen müssen - also »Mamata gadna ...«.
    Weil die
Mitglieder der Affenbande sich im Hirschgraben und außerdem in den wilden
Hängen, mit denen das Letnä-Plateau zur Moldau hinabfiel, perfekt auskannten,
waren sie zum Zeitpunkt meiner Quasi-Aufnahme wie berufen dazu, die in diesem
Gebiet stattfindenden Bauarbeiten auszuspionieren. Das Prager Volk munkelte
damals, die Partei- und Staatsspitze baue sich dort einen Atombunker
undverbinde durch Tunnel alle wichtigen Regierungsgebäude der Stadt
miteinander. Diese Vermutung entsprach - wie man heute weiß - größtenteils auch
der Wahrheit. Das geheimnisumtratschte Bauareal befand sich zwischen dem
Gelände des ehemaligen Stalindenkmals und dem steil abfallenden Abkürzungspfad
für Fußgänger - im Volksmund das »Mauseloch« genannt. Von unserem Haus aus
gesehen lag es in südöstlicher Richtung. Damit bin ich bei der letzten Spitze
meines fünfzackigen Drudenfußes angelangt, die letzte Lücke schließt sich - und
ich habe inzwischen genügend Anhaltspunkte dafür, den Ort, an dem ich meine
Kindheit und Jugend verbracht habe, als vollständig umstellt zu empfinden.
    Die Affen
waren wegen des baulichen Angriffs auf ihr Gebiet schwer verärgert. Im Grunde
agierte der Staat auf dem von ihnen beanspruchten Gelände, er schlug in die
südöstliche, besonders unzugängliche Hälfte des Affenlandes tiefe Schneisen.
Daß aus geographischer Sicht das Wirkungsgebiet der Bande durch das »Mauseloch«
und die für den übrigen Verkehr bestimmte Serpentine immer schon zerschnitten
war, war dagegen nie ein Problem gewesen. Man agierte gern in beiden Hälften
des Hangs, hatte dank einer zwischen den beiden Teilen errichteten
Fußgängerbrücke sogar die Möglichkeit, sich schnell auf das gegenüberliegende
Gebiet zurückzuziehen. Die Affenbanditen waren sowieso immer viel beweglicher
als alle ihre Rivalen. Als das Blut-Wasser-Gemisch in den Schienen ins Tal
hinunterlief, umgingen sie durch ihre geheimen Pfade das polizeilich gesperrte
»Mauseloch« und waren unten auf der Kleinseite schneller angekommen als das
verdünnte

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