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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Mann - und die
Polizisten freuten sich.
    - Seid ihr
Schriftsteller überhaupt Menschen?Die Müllabfuhr hatte im Sozialismus den
furchtbarsten Ruf, die Müllabfuhr war das allerletzte. Allerdings schon lange
vor der russischen Invasion. Übelgelaunte bis aggressiv geladene Müllmänner
gehörten in Prag schon seit meiner Kindheit zum Stadtbild. Glühende Wildheit
auszustrahlen war für diese Leute Pflicht und Bestandteil ihres Berufskodex,
kleine Kinder mit dreckigen Händen oder noch dreckigeren Handschuhen zu
erschrecken war ihr Kulturprogramm. Aber üble Wut mußte immer im Spiel sein.
Der Lohn für die Beseitigung von jedermanns Dreck beinhaltete einfach das Recht
auf Rache, das Recht auf das Rückschleudern von Absonderungen, die irgendwo
übergequollen waren und in die geordnete Wirklichkeit nicht paßten. Und wenn es
schon nicht der stinkende und materielle Dreck sein durfte, dann wenigstens der
abgrundtiefe seelische. Wenn einer dieser Dreckfürsten freundlich gewesen wäre,
hätte er sich der gröbsten Imageschädigung schuldig gemacht.
    Alle diese
Männer hatten in ihrem Leben schon viel zu viel Schmutz gesehen, trugen
Unmengen an Stinkbildern in sich - das sah man ihnen an. Sie waren aber nicht
einfach SCHLECHT GELAUNT, gaben ihre Brutalität nicht nur durch den Äther ab,
die Folge ihrer Geladenheit war, daß sie auch real, das heißt physisch
gefährlich waren. Sie wirkten immer gehetzt und arbeiteten unter - was den
Arbeitsschutz betrifft - extrem ungünstigem Zeitdruck. Daß sie als
gemeingefährliche Zeitbomben in Anmarsch waren, spürte man schon auf Hunderte
von Metern. Wenn sie dann anrückten, erschrak man noch zusätzlich, weil etwas
Grundsätzliches gar nicht mitgekommen war - ihr Denken und Fühlen schien von
ihnen weit entfernt zu sein. Sicher waren die Seelen dieser Männer - ohne daß
man es bemerkt hatte - wie ein Vorauskommando an einem vorbeigerauscht. Eine
andere Erklärung für die erschreckend bewußtheitsarmen Auftritte der
Müllarbeiter gab es nicht. Sie waren nie ganz bei sich.Natürlich wollten sie
ihre Tagesrouten vor allem aus dem Grund schnell abgrasen, weil sie ihre
geheimnisumwitterten Pausen so lange wie nur möglich zelebrieren wollten.
Außerdem reagierten sie sich bei ihrem donnerlauten Treiben einfach ab. Sie
konnten vollkommen legal Fußgänger gefährden, konnten zeigen, wer der Herr der
Prager Straßen war. Und jedermann wußte Bescheid: Wenn eine Müllmannschaft wie
eine kompakt zusammengefügte Tonnenwalze unterwegs war, konnte man leicht zum
Krüppel gemacht, im schlimmsten Fall zu Biomasse zerquetscht werden.
    Über die
technische Seite der Schreckensherrschaft der Prager Müllarmee sollte man
einiges wissen: Die Mülltonnen der Firma MEVA hatten damals nicht nur keine
eingepreßten Chips in ihren Bodys wie ihre heutigen Schwestern, sie hatten
nicht einmal eigene Räder. Und sie waren auch im leeren Zustand - weil sie aus
massivem verzinktem Blech gefertigt waren - relativ schwer. Sie hatten aber
wenigstens keine Ecken und konnten von den Entsorgungsspezialisten in
Schräglage auf der Kante fortbewegt werden. Sie wurden unter Zuhilfenahme des
Deckelgriffs, der so als Knauf genutzt wurde, GEROLLT. Das geschah einhändig
und sah überraschend ästhetisch aus. Wenn genug Platz da war und viele der
rundlichen Tonnen gleichzeitig entsorgt werden mußten, rollte ein Mann in der
Regel zwei Tonnen auf einmal - mit jeder Hand eine, gegenläufig, versteht sich.
Beide Tonnen waren dabei zu seinem Körper hin geneigt - die linke drehte sich
im Uhrzeigersinn, die rechte andersherum -, und so ging es schnell geradeaus.
Die geschickte und gestählte Muskelmasse des Mannes, die Trägheit der Tonnen
oder vielmehr die Trägheit des gesamten Körper-Tonne-Gesamtgefüges dominierten
dann das Geschehen. Ein unvergeßlicher, göttlicher Anblick war das!
    Bei dem
Rollmarsch dieses panzerähnlichen Mensch-Tonnen-Vehikels hatte - wenn der
Tonnenlenker sich dem Spottseiner Kollegen nicht ausliefern oder die Häme
seitens der Bevölkerung nicht einhandeln wollte - seitlich nichts zu wanken,
der Steuermann durfte sich die Richtung nicht von den Tonnen diktieren lassen,
er und nur er hatte bei seiner Fahrt das Gewaltmonopol. Die Männer wußten
natürlich, daß sie gleichzeitig Objekte der Bewunderung waren - und sie
genossen es im Verborgenen auch. Sie waren so etwas wie Magier, Akrobaten und
Dompteure in einem, Tänzer der Schwergewichtsklasse, für mich waren sie die
Meister aller

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