Faktor, Jan
Nächstes
Jahr?
-
Vielleicht.
Nach und
nach wurde ich - einfach aus Not - inoffiziell zu Onkels Nachfolger ernannt.
Quälend war dabei, daß ich nicht nur von Onkels handwerklicher Kompetenz weit
entfernt war, ich kam vor allem an sein Tempo und seine Entschlußkraft nie
heran.
- Georg
ist so langsam (aber süß), er ist so übergründlich (reizend, oder?), er baut
für die Ewigkeit (wie rührend!), hieß es, wenn ich für kleinere
Instandsetzungsarbeiten engagiert wurde und nach mehreren Tagen immer noch
nicht fertig war.
Onkels
erbitterter Kampf gegen die große Frauenschar durchlief eine wechselvolle
Geschichte. Ein einstechendes Zwischenspiel in seinem Ohrensessel-Verwachsungsdrama
bildete ein Arbeitsunfall, nach dem Onkel ONKEL etwas schlechter sehen konnte.
Zum Verhängnis wurde ihm leider seine Begeisterung für neuartige Geräte,
Werkzeuge oder neu erfundene Arbeitsutensilien. Als im Lande die ersten
Teppichmesser auftauchten und unter Männern - manchmal nur anhand von
Abbildungen - als eine sensationelle Innovation diskutiert wurden, besorgte
sich mein Onkel bald ein ganz und gar reales Exemplar. Woher er seinen Cutter
hatte, wußte niemand. Das Stück kann nur Importware aus dem kapitalistischen
Ausland gewesen sein. Er zeigte uns allen - stolz und offenherzig - diese
handwerkliche Wunderwaffe, schob die schräge und mit Bruchkerben versehene
Klinge hin und her, also rein und raus aus dem schmalen Gehäuse. Dummerweise belastete
er die Klinge ineiner Schwächesekunde auch seitlich und hatte nicht bedacht,
daß gehärteter Stahl nicht auch noch biegsam sein kann. Ein Klingensegment
brach bei diesem übermütigen Akt ab und schoß ihm direkt ins Auge. Onkel
stürzte wie ein Verrückter in Ernas Küche, wo gerade einige Damen zu einer
Beratung zusammengekommen waren, und schrie:
-
He! He! Scheiß HCS-Stahl!
- HCS, was
bedeutet HCS? fragten die Tanten.
Der Onkel
versuchte mit seinem entsetzten Gesichtsausdruck den Ernst der Lage zu
untermalen und zeigte auf seine Wange, um sein angestochenes Auge nicht zu
verdecken, also für den nötigen Blickkontakt freizuhalten.
- Zahn
abgebrochen?
- Hast du
auf etwas Eisenhaltiges gebissen?
Die
Segmentspitze steckte zum Glück nur in der Hornhaut, und Onkels Auge floß nicht
aus. Sein technologisches Vorsprungswissen behielt er allerdings für immer für
sich, weigerte sich eisern-stahlfest, uns die Abkürzung HCS zu erläutern. Sein
Schweigen, wenn er gefragt wurde, seine Weigerungen, wenn er angefleht wurde -
also seine NEINS - waren berüchtigt. Als Louis Armstrong in Prag war und sein
Konzert live übertragen wurde, lehnte er es ab, den Fernsehapparat lauter zu
stellen. Die ganze Familie saß vor seiner häßlichen Kiste, und meine Mutter
versuchte ihm, ihrem Schwager und Kunstfremdling, mehrmals zu erklären, Jazz
müsse laut gehört werden.
- Satchmo
wird nicht noch einmal nach Prag kommen.
- Nein, er
ist laut genug.
Viel Ärger
und Streit gab es immer wieder wegen Onkels penetranter Raucherei. Alle haßten
den Geruch seines tödlich starken, meist billigen bulgarischen Pfeifentabaks,
baten ihn oder rieten ihm, aus gesundheitlichen Gründen mit dem Rauchen
aufzuhören oder wenigstens die Tabaksorte zu wechseln. Manchmal ging man zu
leeren Drohungen über, die sich Onkel gern rauchend anhörte.-Wenn ich ein
eigenes Zimmer hätte, hätten wir alle unsere Ruhe.
Daß wir
Ruhe gehabt hätten, war eine Illusion, was aber die Rauchbelästigung anging,
durfte er sich tatsächlich unschuldig fühlen. Sein Rauch verbreitete sich in
der Stratosphäre seiner Schrankburg relativ ungebremst und wurde mit jeder
Türbewegung in die restlichen Räume gepumpt. Die durchlässigen Stellen, also
die Lecks seiner Barrikade vollständig abzudichten war in der Tat unmöglich.
Eines
Tages überraschte uns mein Onkel mit einem großen Clou. Er hatte offenbar im
Stillen an einem ausgefeilten Plan für eine Rauchabzugsanlage gearbeitet, die
nach der Phase der gründlichen Recherchen, der Projektierung, der Anschaffung
aller Komponenten und der letztendlichen Installation das Problem tatsächlich
behob. Daraufhin erntete er spontan viel Bewunderung und wurde mit ehrlich
gemeintem - aber auch mitleidigem - Lob überschüttet.
Das
sozialistisch unförmige und keinesfalls leise arbeitende Luftabzugsgerät war
leistungsstark und stand auf dem Fußboden, um wenigstens die Sicht aus dem
Fenster nicht zu versperren. Leider war das Ungetüm - weil mit dicken flexiblen
Schläuchen
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