Faktor, Jan
angesprochen: Der körperwuchtige Onkel
ONKEL rückt trotz allem mit würdiger Gewalt ins Zentrum meines Interesses und
überschattet mit Leichtigkeit die eine oder andere liebenswürdige Tante. Und
noch etwas anderes setzt sich dabei vorsichtig in Bewegung: Ich beginne mich
mit meinem Onkel solidarisch zu fühlen. Beides hätte ich mir früher nicht
träumen lassen. Als junger Mann soll Onkel ONKEL witzig und lebendig gewesen
sein. Über seine Beiträge zur guten Laune wurde uns Kindern aber grundsätzlich
nie etwas erzählt, keiner seiner Scherze ist Teil der familienkollektiven
Überlieferung geworden. Viel später sagte ich mir in diesem Zusammenhang: Die
Vorstellung, daß das Matriarchat eine bessere Welt hätte hervorbringen können,
würde sich garantiert als illusorisch erweisen.
Aufgrund
meiner neu entdeckten positiven Regungen für meinen Onkel will ich ihm auf
keinen Fall unrecht tun - und ich möchte nicht, daß mich meine lieben Cousinen,
Onkels Töchter, irgendwann verfluchen und zum Teufel schicken - in eine Hölle,
die von sadistischen Weibsbildern betrieben und von versklavten Onkelknechten
am Laufen gehalten würde. Ich tue schon etwas Gutes, denke ich, wenn ich über
diesen Mann schreibe. Ohne diese Aufzeichnungen würde es heute nicht mal ein
kleines Restchen meines kolossalen Onkels geben, weil nach seinem Tod alle
seine angesammelten Schätze - aber auch Fotos und alles Schriftliche - in den
Müll wanderten. Leider begehe ich mit meiner sich steigernden Hinwendung aber
auch ein kleines Verbrechen. Es war ein eindeutiger Wunsch von ihm, nicht nur
kostenneutral und grablos, sondern auch ganz und gar namenlos aus dieser Welt
zu verschwinden, sich also schnellstens in pulverisierten Dünger unserer Felder
und Wiesen zu verwandeln. Strenggenommen bedeutete das in seinen Vorstellungen,
denke ich, daß er absolut KEINE ERINNERUNGSRÜCKSTÄNDE zurücklassen wollte. Das
mindeste, woran ich mich in diesem Text unbedingt halten muß: Onkels wahrer
Name wird nicht verraten. Ich bleibe bei dem neutralen, dafür gedoppelten
Tarnnamen.
In diesem
Verschwindenwollen steckte natürlich etwas Feiges. Zu Lebzeiten war mein Onkel
dagegen - in handwerklicher Hinsicht jedenfalls - ein extrem mutiger Mann.
Leider setzte er gleichzeitig seine partielle Clownsrolle durch diverse
Mißgeschicke immer weiter fort - fast als wollte er der ihn umdrückenden
Meinung, er sei irreparabel lächerlich, entgegenkommen und diese irgendwann
auch endgültig besiegelt sehen. Trotzdem führten seine fleischigen Zauberhände
in der Wohnung eine Art Parallelexistenz, und sie blieben über Jahre trotz
Onkels angeblich angeborener Faulheit grenzenlos geschickt.
Mein
Onkel, dieser entthronte Leithammel, der für unsere Gemeinschaft
lebensnotwendig war, führte lange Jahre alle schwierigen und hochqualifizierten
Arbeiten - wenn er in Gang kam - grundsätzlich ein-mann-diktatorisch aus.
Jedenfalls so lange, bis er den tobenden Sackgassenkampf gegen die Frauen, aber
auch den Kampf gegen seine eigene Trägheit verlor. Er versteifte besonders
effektvoll, wenn er bockig war, und in der Versteifung war es für ihn
sicherlich am ökonomischsten, seine Einsiedlerruhe zu genießen, als gegen sie
anzukämpfen. Irgendwann entdeckte er endlich, stelle ich mir vor, sein
Bedürfnis nach Rückzug und Einkehr, lernte, seine innere Stille mit dem Dröhnen
seines Fernsehers unter einen harmonieprallen Hut zu bringen. Er sprach mit der
Zeit immer weniger und tat immer weniger. Und irgendwann wollte, sollte oder
DURFTE er auch nichts mehr tun. Nachdem er in seinem Fernsehsessel (es war ein
regelrecht königlicher OHRENSESSEL - ein durchgesessenes, milbenschwangeres und
fleischgleich verfettetes Monster, das einem auch in Onkels Abwesenheit Furcht
einflößte) definitiv versackt war, umpolsterte er sich vollständig, fraß sich
eine ausdrucksarme Fettschicht im Gesicht an und baute leicht ab. Dann rührte
er schon auf der Grundlage seiner hochgezüchteten Widerstandsethik sowieso
nichts mehr an. Darüber konnte sich allerdings niemand von uns wirklich freuen
- unsere Wohnung, die sich nach seinem letzten handwerklichen Großangriff nie
wieder erholen sollte, füllte sich mit kaputten Geräten und schwärenden
Schwachstellen. Diverse Probleme warteten nur darauf, sich zu Schwerpunkten
chronischer Katastrophen aufzuschwingen.
- Bei mir
brennt eine Birne nur manchmal, flimmert so. Und Ernas Steckdosen sind heiß.
- Ja, ja,
ich mach's irgendwann.
-
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