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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Trick:
Immer wenn die Gefahr drohte, er könnte als Fahrer gebraucht werden, gab er
vor, er hätte »leider soeben« ein Schnäpschen getrunken.
    - Schade!
Tut mir leid. Hab gerade etwas ...
    In der
Regel stimmte das, zum Beweis hauchte er den Fragenden auch gleich an. Und in
der Tschechoslowakei galt damals, genauso wie heute in Tschechien, aus gutem
Grund die strenge Null-Promille-Grenze. Kurze Zeit nach der Anschaffung des
Autos kauften er und Eva ein Bauernhaus, an dem »sehr viel zu tun war«. An den
Wochenenden konnten die zurückgelassenen Wohnungsbewohner also aufatmen. Im
Umgehungsgang der Onkelsburg wurde laut gerufen, getrampelt, hin und her
geschlurft, bei besonders ausgelassener Stimmung sogar gesungen, getänzelt, bei
Bedarf auch gegen die Schränke geboxt. Alles unter dem Motto: DER HAUSTYRANN
IST BESIEGT UND VERTRIEBEN. Mit der Ausgelassenheit durfte man es aber nicht
übertreiben. Die hinter den Vorhängen hochkant lauernden Teppiche
intensivierten gern ihr Eigenleben und kippten manchmal nach außen,
überraschten einen wie schlechtversteckte Leichen.
    Onkel
ONKEL plante unterdessen noch eine ganz andere, hochgradig brisante Investition
- und in diese wollte er offenbar nicht nur viel von seinem angesparten Geld
stecken, in dieses Projekt sollten außerdem seine ganze Ehre und die letzten
Reste seiner Glaubwürdigkeit investiert werden. Uns sollte es allerdings viel
mehr Leid bescheren als alles, was dieser Mann bislang verbrochen hatte. Mein
Onkel ONKEL - der einzige volljährige Mann unserer Behausung - versprach uns
den Bau einer ultramodernen Wasserumlaufheizung, die die ganze Etage mit Wärme
versorgen und uns endlich die Sorgen mit unseren kohlenmonoxidal schwelenden
Dauerbrandöfen und explosionsfreudigen Gasheizungen nehmen sollte. Bei seinen
wiederholten Ankündigungen war Onkel voller Optimismus und wirkte überhaupt
nichtso, als ob man ihm dieses Projekt als eine Art Buße abgepreßt hätte. Es
war auf keinen Fall eine Strafaufgabe, es war sein ureigenes
Prestigeunternehmen.
    Aufgrund
der Exklusivität seines handwerklichen Könnens und aufgrund seines
Wissensvorsprungs wollte man ihn beinah umgehend frei walten und schalten
lassen, er selbst hatte aber um eine allgemeine Aussprache, also um die
Einberufung einer Informationsrunde gebeten. Er wollte aus gutem Grund einen
Konsens erreichen - wußte offenbar nur zu gut, daß er grenzenlose Baufreiheit
und grünes Licht ohne irgendwelche Rotphasen brauchen würde. In den heißen
Arbeitsphasen - und darauf wollte er uns vorbereiten - würde von den
»Maßnahmen« jedes Familienmitglied mehr oder weniger stark betroffen sein,
jeder Raum mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen werden. Zum Glück hatte
Onkel ONKEL das Wort »Mitleidenschaft« in den Mund genommen - und einem
(unserem!) Teil der Wohnung brachte dies tatsächlich die Rettung. Meine Mutter,
die nicht gerne litt, wurde mißtrauisch und fragte, was sie sich darunter
konkret vorzustellen hätte. Die technische Seite der Sache, die sie daraufhin
erläutert bekam, verstand sie zwar nicht ganz, sie ließ sich aber nicht
verwirren und blieb erstaunlich hellsichtig. Ähnlich wie der einfache Bauer,
der in einer Erzählung von Egon Erwin Kisch mißtrauisch wird, als ihm in dem
von einem Bodenspekulanten diktierten Kaufvertrag plötzlich das Hilfsverb »WURDE«
negativ auffällt. »Was für ein WURDE? ... Sie haben mir ein >wurde<
einreden wollen! Von >wurde< haben wir aber nichts ausgemacht.«
    - Bei uns
nicht, auf keinen Fall! meinte meine Mutter. Ich will keine Überlaufbehälter
oder Entlüftungsventile sehen, ich will kein Gluckern hören, das in meinem
Zimmer herumwandert. UMLAUF! Wenn ich das schon höre. Kein Umlauf bei mir! Ich
brauche meine Autonomie.
    - Es wird
nicht gluckern!- Wozu dann die Entlüftungsventile?
    - Aber
nein! Die sind nur in der Phase der Auffüllung des Systems von Bedeutung.
    Mein Onkel
verstand es geschickt, die technisch ahnungslosen Frauenhirne durch weitere,
spitzentechnologisch demagogische Überzeugungsarbeit zu manipulieren. Nur meine
Mutter zeigte sich von ihrer harten Seite, und bei ihrem NEIN blieb es auch.
    Die
ultimative Schlacht um die Etagenheizung sollte praktisch Onkels letzte
ernstzunehmende sein. Ein Triumph wäre ihm und uns allen aus mehreren Gründen
zu wünschen gewesen, auch wenn die Gefahr bestanden hätte, daß er seine
abgesteckten Befugnisse mißbraucht und seine erstarkte Definitionskompetenz auf
andere Gebiete umgelegt hätte.

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