Faktor, Jan
schlug oder nicht rechtwinklig war, fummelte man
nicht lange und machte aus dem Werkstück »keine Schweizer Uhr« - wie der
Meister sagte. Man nahm einfach einen schweren Hammer und ging zu unserer
zentral gelegenen, sieben Zentimeter dicken Stahlplatte. Dort wurde das Ding
einfach mit Gewalt und ohne jeden Widerspruch GERICHTET. Ich liebte außerdem
die Arbeit mit dem Winkelschleifer, und mir wird bis heute warm ums Herz, wenn
ich den Geruch in die Nase bekomme, der sich beim glühenden Abrieb der
Schleifscheiben ausbreitet.
Wenn ich
nach Hause kam, gab es trotz meiner vielen handwerklichen Erlebnisse kaum etwas
zu erzählen. Die Arbeit machte mich müde, und meine Mutter meinte, ich würde
nicht nur Vitamine, sondern auch mehr Energie gebrauchen können. In meine
Suppen schmiß sie deswegen immer einen Löffel Schweineschmalz. Gesprächiger
machte mich das Schmalz leider auch nicht. Ich saß oft zusammengesackt an
unserem Teilfamilientisch und wälzte lange den - den ganzen Tag gehegten - Vorsatz,
eine Anekdote, eine Besonderheit oder überraschende Neuigkeit zum besten zu
geben. Ich wollte, daß wir miteinander wieder lachten. In der Regel blieb es
bei meinem stummen Wunsch und bei meinen Preßqualen. Ich war ein Mann des
Metalls geworden, trotzdem war ich gleichzeitig das, was ich von früher nur
allzugut kannte - klein Georg lieb zu Haus. Ein nettes Kind, fröhlich wie
früher, war ich aber eindeutig nicht mehr. Mir blieb nichts anderes übrig, als
auf ein Wunder zu warten. Zwischendurch freute ich mich über ganz winzige warme
Gefühlssignale aus meinem Inneren, versuchte, auf kleinste Gleichgewichtsfunken
zu achten, und redete mir ein, mich in einem etwas langgezogenen
Inkubationsstadium zu befinden. In der angenehm schmuddeligen Werkstatt war ich
mit der Realität fest verdrahtet, trotzdemwar mir klar, daß mich meine Hämmer,
Winkelschleifer, Lederschürzen und Schweißbrillen als Menschen nicht wirklich
voranbringen konnten. Mein kleines Land kam mir sowieso wie eine unsicher
gelagerte, kippelige Metallplatte vor, ich war ein kleiner, darin eingenieteter
Wurm, und was sich außerhalb meines begrenzten Horizonts in der großen Welt
tat, war für mich absolut unerreichbar. Aber auch hinter den Rändern des
kleinen tschechischen Kessels konnte es nicht einfach nur Glück geben, dachte
ich. Erdbeben, Überflutungen, Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge - und
vieles mehr. Unmengen an Verzweiflungskeimlingen hockten überall auf der Welt
geduldig wie Zecken, ganze Armeen davon warteten in stabilen Startlöchern auf
ungeschützt-poröse Wirtsorganismen, jede Art von Unheil war jederzeit lieferbar
- frei Haus, besonders für die Ärmsten unter den Geschwächten, versteht sich.
Zusätzliche menschliche Begleit- und Normalkatastrophen - das Portemonnaie samt
Personalausweis verloren! -, Morde, Schlangenbisse, Meniskusprobleme nicht
mitgerechnet. Aber auch in meiner engen Hauptstadt war ich inzwischen so gut
wie geliefert, hatte ich das Gefühl. Bei einem meiner nächtlichen Spaziergänge
pöbelten mich einmal drei angetrunkene Frauen an.
- Den
fotzen wir einfach ab! schrien sie mir nach. Renn doch nicht weg, Bürschchen,
sag doch was.
Bloß
nicht, schrie es in mir trotzig - in aller Stille sogar noch lauter als laut.
Bloß nicht, hallte es in mir nach, laß das alles - DU HEILIGER HODENSACK-BIMBAM
- nur ein Angsttraum sein. Ich bitte dich, mein lieber barmherziger Bimbam:
Klapp' bloß nicht solche scheinbereiten Schenkel vor mir auf, gib meiner Welt
doch nicht ein derartig MÖSENLOSES ARSCHGESICHT! Meine äußere Attraktivität
sank bei Tageslicht so stark ab, daß ich in den Augen vieler Frauen immer öfter
vollkommene Gleichgültigkeit erblicken konnte. Das war wirklich neu.Aufs Metall
zu hauen reichte mir irgendwann nicht mehr. Ich war inzwischen körperlich etwas
besser dran, wollte wieder Sport treiben - und entschied mich spontan für
Karate. Bei Karate trainiert man die Schläge zwar ohne Ende, beim Kämpfen -
also den regulären Kämpfen - schlägt man aber nicht zu, man tut sich also
gegenseitig möglichst nicht weh. Mit dem schwarzbegürteten Meister meines
Vereins hatte ich leider etwas Pech. Er war klein und hatte schwere Minderwertigkeitskomplexe,
die sich ihm in sein sozialistisches Sadistengesicht fest eingeschrieben
hatten. Ich beklagte mich aber nicht, lernte Karate damals eben so und nicht
anders kennen. Außerdem ließen sich meine Mitkämpfer - wir alle befanden uns auf
dem Weg zum
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