Faktor, Jan
es mit uns so nicht weiterginge. Kein leichtes Unterfangen: Man muß
bedenken, daß es bei uns zu Hause nicht üblich war, Kontroversen auszutragen,
und daß Menschen, die sich stritten und einander sogar wie primitive Grobiane
angeiferten, aus tiefster Seele verachtet wurden. Wenn ich in fremder Umgebung
erwachsene Menschen laut losschimpfen hörte, zuckte ich in Erwartung einer
unvermeidlichen und garantiert vernichtenden Gewaltexplosion zusammen. Ich
hatte es also niemals gelernt. Aussprachen als gesunde Reinigungsrituale zu
betreiben. Jedes meiner hektisch angesetzten Klärungsgespräche mit meiner
Mutter blieb daher in einem vollkommen hilflosen Stadium stecken.
Ich hatte
mir einige wenige Sätze zurechtgelegt, mehr aber nicht. Was meinen Ausführungen
fehlte, war in erster Linie eine ruhige Einleitung. Daran hätte sich eine
lautere, von mir aus wütende Auseinandersetzung anschließen können. Ich war vor
dem eigentlichen Start der Aktion aber leider so nervös geworden, daß ich - als
Eröffnung sozusagen - sofort hochgereizt, angespannt loslegte und viel zu
schnell sprach. Ich blubberte dabei vor inhaltlich unbegründeter, scheinbar
nicht begründbarer Feindseligkeit.
- Laß mich
mich sein, misch dich nicht... ich kann nicht dein ein und alles ... du willst
zu viel, ich kann nicht...
Auf mich
selbst wurde ich natürlich genauso wütend, weil ich noch zusätzlich zu stottern
begann. Meine Mutter erschrak über die geballte Ladung Lieblosigkeit, die sie
von mir in dieser Form noch nie zu hören bekommen hatte.
- Was hast
du bloß gegen mich, das ist furchtbar!
Da ich
mich aber als schwach und unsicher präsentierte, deutete sich auf ihren Lippen
bald so etwas wie ein leichtes Siegeslächeln. Und wenn sie mich auch nicht
wirklich auslachte, wußte sie, daß der Boden für eine kleine Gegenoffensive
reif war.
- Du hast
keinen Grund, mit mir so häßlich zu sprechen. Sag es doch ruhig. Ich habe dir
überhaupt nichts angetan.
Sie hatte
nicht ganz unrecht, eine übergeordnete Wissende war sie trotzdem nicht.
Vielleicht waren die Wände unserer Wohnung, unsere Schränke, Vorhänge,
Wasserhähne oder unser dummhellblaues Linoleum im Flur schuld an allem. Oder
die Wohnungsnot, die Gravitation, Magnetismus, Oberflächenkohäsion oder die
stellenweise boshaft schwingende Erdkernenergie. Um vor Wut nicht zu platzen,
kam ich irgendwann auf die rettende Idee, mit Fäusten gegen die Wände zu
schlagen. Ich genoß den Schmerz, ichgenoß außerdem, welchen Aufprall meine
Handgelenke ertragen konnten, ohne zu zersplittern. Weil ich nicht in der Lage
war, meine Mutter mündlich in die Mangel zu nehmen, entwarf ich einige Briefe.
Ich entwarf diese Schriftstücke ruhig und geduldig, überarbeitete sie mehrmals,
am Ende waren sie so unaufgeregt, wie es mir nur möglich war. Und ich war fest
davon überzeugt, der Inhalt der Schreiben würde meiner Mutter sofort
einleuchten. Kurzzeitig hatte ich sogar die Hoffnung, wir würden uns schreibend
näherkommen. Ich hatte mich gewaltig geirrt. Meine Mutter war schon von meinem
ersten Brief, den ich als abgebbar und gut verdaulich eingestuft hatte, so
verletzt, daß sie mir eine dreimonatige Schweigekur vorschlug.
- Du bist
grausam. Solche Grausamkeiten sogar aufzuschreiben - das macht man einfach
nicht.
Wenn ich
mir die damaligen Briefe heute ansehe, finde ich sie vollkommen harmlos, beinah
liebevoll. Sätze wie »du hältst mich immer noch an der Nabelschnur fest« oder
»die Aggression, die du mir verbietest, wende ich gegen mich selbst« würde ich
auch heute ohne weiteres unterschreiben. Wie wir aus der Krise herauskommen
sollten, war nach diesem Mißerfolg vollkommen unklar. Einer von uns hätte sich
natürlich umbringen können. Beim Phantasieren, wie ich es meinerseits am besten
bewerkstelligen könnte, war ich beinah glücklich.
In dieser
Zeit erfüllte ich mir einen meiner nächsten Lebensträume und wurde
Hilfsschlosser in einer kleinen kommunalen Werkstatt. Wirklich erlöst fühlte
ich mich durch die manuelle Arbeit nicht, gesprächiger wurde ich auch nicht,
wenigstens war ich aber kaum zu Hause. Ich lernte schweißen, erwarb später
sogar einen Schweißerpaß und war in meinem verstockten Inneren stolz, daß ich
mir ein echtes Handwerk beibringen durfte. Die Arbeit mit Metall, das nicht so
leicht zerbrach wie Holz und durch brutale Hammerschläge und andere
Gewaltmaßnahmen formbarwar, entsprach mir ungemein. Wenn ein Bauteil sich durch
Wärme verzogen hatte, Wellen
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