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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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fernöstlich Höheren - genauso widerspruchslos quälen wie ich.
Jammern war während des Trainings verpönt, und Beschwerden waren sowieso nicht
zugelassen - zu keinem Zeitpunkt, an keiner Stelle. Schmerzen in allen
Schattierungen und aller Grade sollten dagegen als ein Segen hingenommen
werden, und ich litt in dieser Zeit tatsächlich nicht ungern. Das, was sich
unser Meister herausnahm, überstieg leider oft die physischen
Widerstandsmöglichkeiten unserer Körper. Der Meister versuchte vielleicht, uns
in eine märchenhafte Welt der »martial arts« zu entführen, mitten im
Sozialismus ein Stück Mittelalter des alten abgeschotteten Japans aufblühen zu
lassen, im Grunde befanden wir uns aber in seiner Folteroder zumindest
Dekompensationskammer. Zu der verrohten Stimmung in der Stadt paßte unser
pervertiertes Training allerdings einwandfrei. Daß in anderen Klubs und
Vereinen kein vergleichbarer Terror herrschte, erfuhr ich erst später.
    Der kleine
breitschultrige Mann mochte keine Turnmatten - und fand es sowieso besser, wenn
wir mit dem nackten Parkettboden in Kontakt traten. Wir mußten üben, hart auf
den harten Boden zu fallen und dabei hart zu bleiben. Wir mußten dauernd die
ganze Turnhallenlänge hin undher rollen, also in schneller Folge Rollen
schlagen, noch eine, noch eine und noch eine - und wieder zurück. Regelmäßig
und ausdauernd mußten wir außerdem spezielle Liegestütze trainieren, bei denen
wir uns nur auf zwei Gelenke unserer Fäuste stützen durften - auf das des
jeweiligen Zeige- und Mittelfingers. Danach wurden unsere Fäuste streng
kontrolliert. Wer Druckstellen auch woanders hatte - sich also entlastet und
geschummelt hatte -, mußte weitermachen, seinen Körper vor aller Augen bis zur
totalen Entkräftung hochstemmen üben, was früher oder später zu einer
lächerlichen Absackung führte. In der Regel mußte der Bestrafte am Ende jeder
Hebung auf seinen schmerzenden Fäusten sogar noch einen kleinen Sprung
vorführen, sich also kurz in die Luft hochfedern - und wieder genau auf den
zwei abzuhärtenden Gelenken landen. Nach seinem finalen Kollaps gab es
vorsichtshalber eine Endkontrolle.
    Mir
machten vor allem die Rollen auf dem Parkett furchtbare Probleme, weil mich
dabei keine Gewebepakete schützten. Ich war voller nicht abgepolsterter
Knochen, Gelenkkapseln und Vorsprünge. Ich verletzte mir besonders oft die
Ellenbogen, quetschte mir irgendwelche Schleimbeutel kaputt, außerdem waren
mein Kreuz, die Schultern und die Arme dauernd mit Blutergüssen übersät.
Zusätzlich zu den vielen Härteübungen bekam man beim Training oft noch
irgendwelche Zusatzstrafen aufgebrummt. Ich machte beim Üben von Katas - den
festgelegten Bewegungsabläufen - immer wieder Schrittfehler, weil ich mir die
einzelnen Positionswechsel nicht schnell genug merken konnte. Das gefiel dem
strengen Meister ganz und gar nicht. Er paßte gut auf oder kommandierte
jemanden ab, der auf die Einhaltung der Schrittfolgen achten und die Sünder
herauswinken sollte. Der Meister ließ daraufhin alle anderen weiterüben, die
schwarzen Schafe mußten entweder wieder ihre Gelenke ruinieren oder wie Häschen
am äußeren Rand der Halle Hüpf marathon veranstalten. Manche fielen
mitMuskelkrämpfen irgendwann um. Nach einer kleinen Pause durften sie dann
weiterhäseln. Für diejenigen, die einfach in der Hocke blieben, weil ihnen die
Kraft ausging, gab es nur Verachtung. Nach dem Ende der Strafrunden ging es
weiter mit den Katas. Und beim nächsten Fehltritt wurde man ohne Gnade erneut
bestraft, auch die Krampfanfälligen mußten wieder zum Häschenhüpfen antreten.
Nachdem der Meister gemerkt hatte, daß mir die Hüpferei nicht viel ausmachte,
wurde ich mit Vorliebe zum Gelenkeschinden verurteilt. Wenn es um das
abwechselnde Partnertraining der Bauchmuskulatur ging - man drosch seinem
Gegenüber mit voller Wucht gegen die Bauchdecke -, teilte mich mein Meister
gern einem seiner treuen Jünger zu. Diese hatten sich mit der Zeit natürlich
riesengroße Fäuste zugelegt und droschen mit der Schubkraft ihres ganzen
Oberkörpers und ihrer breiten Oberschenkel - aus der Hüfte heraus, wie es so
schön heißt.
    Eine Regel
war beim Training besonders gemein: Man durfte sich um die Verletzten auf
keinen Fall kümmern. Wer sich so übel weh tat, daß er sich nicht mehr rühren
konnte, durfte sich still auf einer Matte in der Ecke winden - den geheiligten
Raum nach dem Abklingen der schlimmsten Schmerzen aber trotzdem nicht

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