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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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ich deswegen kaum. Wir
aßen Knödel, viel zu viele Knödel. Alle, die in dem Vorgarten saßen, aßen
ebenfalls Knödel. Und das, was ich nach und nach einzeln schluckte, waren
verformte kleine Schluckknödel. Sie rutschten viel zu langsam in Richtung
meiner sich nicht auftuenden - oder doch? - Magengeschwüre, und die bildliche
Vorstellung, die ich mir von meinem nervösen Magen gemacht hatte, bremste die
Knödelklumpen unterwegs noch zusätzlich. Ich bekam anschließend das Gefühl, mit
lauter glitschigen Klumpen verfüllt zu sein - mit Stöpseln, die in mir als
säurebeständige Bremsklötze noch lange steckenbleiben würden. Und sicherlich
würde ich schon in der nahen Zukunft auch äußerlich zu einem typisch
tschechischen Knödelmann mutieren. Ich spürte regelrecht, wie in mir das
großknödelförmige Ekelpaket zu keimen und zu gären begann, und ich begriff, daß
Pech und Unglück mich eines Tages - mich, das glückliche Kind - ohne weiteres
in ein wutgemästetes Arschloch verwandeln könnten. Etwas Grundsätzliches lief
in meinem Leben vollkommen falsch. Der aktuelle Kontrast zwischen meinen
knödeligen Untergangsphantasien und der harmonischen dörflichen Umgebung war in
seiner Intensität gefährlich.Andere Leben, auch das der wachdösenden und
ergebenen Spießer um uns herum, schienen mit der Welt dagegen einigermaßen eins
zu sein.
    - Was ist
mit dir?
    - Mir geht
es nicht gut, bin bedrückt.
    - So ein
schönes Wetter, schade! Du brauchtest mehr Vitamine.
    Mich
konnte nur eines trösten: Wenn ich an so einem schönen Tag in der Stadt
geblieben wäre, wäre nicht unbedingt meine Schrumpfbrust als Mittelpunkt meiner
Sorgen dran, sondern eher mein unter Überdruck geratener Festkörperschädel. Ich
tickte sowieso paradox: Wenn ich mich innerlich geschwächt fühlte, wurde
automatisch mein gesamtes Inneres widersinnig produktiv. Ich wurde aus
seelischen Schlammfängern und Fettabscheidern mit den unbekömmlichsten
Substanzen versorgt und trotz der zwischengeschalteten Schieber und
Rückstauklappen von gewaltigen Gefühls-Eruptaten belästigt. Vielleicht waren
diese Vorgänge mondphasenabhängig, also weibisch, wer weiß. Ich wurde auf jeden
Fall periodisch von schwer benennbaren Sensationen heimgesucht, für die ich irgendwann
einen brauchbaren Behelfsbegriff gefunden hatte: DIE FISCHVERGIFTUNG. Ich
fühlte mich regelmäßig fischvergiftet, ohne dafür verdorbenen oder überhaupt
Fisch essen zu müssen. Da diese Benennung auf der sachlichen Ebene nicht
vermittelbar war, benutzte ich sie nur intern für mich.
    Meiner
Mutter ging es bei unseren gelegentlichen Knödelessen auch nicht blendend. Ich
sah ihr die Gerinnung ihrer anfänglichen Freude genau an. Sie wollte einen
schönen Tag an der Seite ihres hoffnungsvollen Sohnes genießen, bekam aber nur
ein gequältes Gegenüber zu sehen - und als Nachspeise noch eine unbegründete
Kontaktsperre vorgesetzt. Ich wußte genau, daß sie neben mir ertrank. So wie es
mir ging, hatte ich aber absolut keine Wahl - ich sah sie sinken und war darauf
vorbereitet, sie untergehen zu lassen.Etwas in mir wollte sie sowieso endlich
aus meinem Leben jagen. Sie jedenfalls an einen Punkt befördern, an dem es kein
Zurück mehr gegeben hätte. Dazu gab es, wenn ich mir das reichhaltige
Waffenarsenal vor Augen führte, das jede Küche, jeder Werkzeugkasten enthielt,
unterwegs jeder Pflasterstein- oder Eisenschrotthaufen beherbergte, allerlei
Möglichkeiten. Wie hätte mich meine Mutter im ersten Moment nur angesehen, wenn
ich die griffbereite Speisegabel in meine Rechte genommen und ihre Hand
plötzlich an die Tischplatte gegabelt hätte?
    Theoretisch
hätten wir uns auch umarmen und uns gegenseitig trösten können. Das lag aber
weit außerhalb unserer eingeschnürten Welt. Wir konnten uns inzwischen nicht
einmal leicht berühren. Ich erlebte sowieso gerade eine
berührungsminimalistische Zeit, und meine Mutter war fast das letzte Wesen, das
ich mit gutem Gefühl hätte hautnah spüren wollen. Manchmal ließ ich sie
tagelang zappeln, sprach mit ihr möglichst nicht - oder sprach mit anderen
Menschen und beachtete sie demonstrativ nicht -, bis sie plötzlich »grundlos«
in Tränen ausbrach. Das passierte ihr einmal sogar im Beisein von Besuchern.
Weil es für ihre Heulerei keinen sichtbaren Anlaß gab, schämte sie sich dafür
und entschuldigte sich bei allen mehrmals - wirr und unlogisch.
    In der
Folgezeit nahm ich zweimal den Anlauf zu einem GESPRÄCH. Ich wollte erklären,
daß

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