Faktotum
Uhr auf 17.47 zurück. So. 17.47 Uhr. Jetzt wärs eigentlich Zeit zum Abendessen, bloß ist nichts zu essen da.«
Die Uhr war heruntergefallen und kaputt gegangen, und ich hatte sie wieder repariert. Ich hatte den Deckel hinten abgenommen und festgestellt, daß mit der Feder und dem Schwungrad etwas nicht in Ordnung war. Ich konnte die Uhr nur wieder zum Gehen bringen, indem ich von der Feder ein Stück abknipste und sie straffer spannte. Aber jetzt ging die Uhr zu schnell; man konnte fast zusehen, wie sich der große Zeiger bewegte.
»Laß uns mal noch ’n Faß Wein aufmachen«, sagte Jan.
Trinken und ins Bett steigen, das war wirklich alles, was wir tun konnten.
Sämtliche Vorräte waren aufgezehrt. Nachts zogen wir los und klauten Zigaretten aus geparkten Autos – vom Armaturenbrett herunter und aus dem Handschuhfach.
»Was meinst du, soll ich uns ein paar Pfannkuchen machen?« fragte Jan.
»Ich weiß nicht, ob ich nochmal so einen runterkriege.«
Butter und Bratenfett waren uns ausgegangen, deshalb mußte Jan die Pfannkuchen trocken herausbacken. Und es war auch kein richtiger Pfannkuchenteig – nur Mehl mit ein bißchen Wasser angerührt. Die Dinger kamen knusprig aus der Pfanne. Ein bißchen sehr knusprig.
»Was bin ich bloß für ein Mann?« fragte ich mich laut. »Mein Vater hat mir gesagt, daß ich so enden würde! Ich werd doch noch losgehen und was anschaffen können? Ich werde losgehen und was anschaffen … Aber erst mal einen guten Schluck.«
Ich goß ein Wasserglas mit Portwein voll. Das Zeug schmeckte ganz entsetzlich, man durfte beim Trinken nicht daran denken, sonst kam es einem gleich wieder hoch. Deshalb ließ ich in meinem Hirn immer einen Film ablaufen. Ich dachte etwa an ein altes Schloß in Schottland, mit Moos überwachsen – Zugbrücken, blaues Wasser, Bäume, blauer Himmel, Kumuluswolken. Oder ich dachte an eine Lady mit Sex-Appeal, die sich unendlich langsam ein Paar Seidenstrümpfe anzog. Dieses Mal ließ ich den Film mit den Seidenstrümpfen laufen.
Ich brachte den Wein runter, und er blieb unten.
»Ich geh jetzt los. Goodbye, Jan.«
»Goodbye, Henry.«
Ich ging den Flur entlang, die vier Treppen hinunter, drückte mich lautlos am Apartment des Hausverwalters vorbei (wir waren mit der Miete im Rückstand) und trat hinaus auf die Straße. Ich ging den Hügel hinunter bis zur Kreuzung von Sixth und Union Street. Ich überquerte die Sixth Street und ging nach Osten. Da oben gab es einen kleinen Supermarkt. Ich ging daran vorbei, machte kehrt und pirschte mich an. Die Kästen mit dem Gemüse standen draußen auf dem Bürgersteig. Es gab Tomaten, Salatgurken, Orangen, Ananas und Pampelmusen. Ich stand davor und sah sie an. Ich sah in den Laden rein: nur ein älterer Typ mit einer Schürze um. Er unterhielt sich mit einer Frau. Ich griff mir eine Salatgurke, steckte sie in die Tasche und ging weg. Ich war etwa fünfzehn Schritte gegangen, als ich ihn hörte: »Hey, Mister! MISTER! Kommen Sie sofort mit dieser SALATGURKE zurück, oder ich rufe die POLENTE! Wenn Sie nicht im KNAST landen wollen, dann bringen Sie sofort diese SALATGURKE zurück!«
Ich drehte mich um und ging den ganzen Weg zurück. Drei oder vier Leute beobachteten mich. Ich zog die Gurke aus der Tasche und legte sie zurück. Dann ging ich nach Westen davon. Ich ging die Union Street hoch, stieg auf der westlichen Seite den Hügel hinauf, dann wieder die vier Treppen hoch. Ich machte die Tür auf. Jan schaute von ihrem Drink hoch.
»Ich bin eine Niete«, sagte ich. »Nichtmal eine Salatgurke kann ich stehlen.«
»Macht doch nichts.«
»Setz die Pfannkuchen auf.«
Ich ging zu unserer 4-Liter-Flasche hin und goß mir ein Glas voll.
… Ich ritt auf einem Kamel durch die Sahara. Ich hatte eine große Nase, die leichte Ähnlichkeit mit dem Schnabel eines Adlers hatte, aber ich sah trotzdem ausgesprochen gut aus, oh ja, umwallt von einem weißen Gewand mit grünen Streifen. Und ich hatte Mut, ich hatte schon mehr als einen ermordet. An meinem Gürtel baumelte ein großer Krummsäbel. Ich ritt auf das Zelt zu, wo mich eine Vierzehnjährige, die mit großer Weisheit und einem intakten Jungfernhäutchen gesegnet war, sehnsüchtig auf einem dicken Orientteppich erwartete …
Der Drink ging runter. Das Gift schüttelte mich durch. Ich roch die angebrannten Pfannkuchen. Ich goß Jan ein Glas voll, und mir goß ich auch gleich nochmal eins voll.
Irgendwann während einer unserer höllischen Nächte ging der 2. Weltkrieg zu Ende. Der
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