Falaysia - Fremde Welt: Band 1 (German Edition)
ordentlich zurück gekämmt und ebenso exakt saß sein dunkler Anzug, der allem Anschein nach aus reiner Seide war. Er hatte ein schmales Gesicht, dessen markanter Schnitt noch von einem Spitzbart betont wurde. Dennoch war etwas an ihm anders als bei den meisten Menschen. Vielleicht war es der scharfe Blick, mit dem seine dunklen Augen den Flur inspizierten, das nachdenkliche Zusammenziehen seiner Augenbrauen, als sein Blick die Gemälde streifte, vielleicht das zynische Lächeln auf seinen Lippen oder die fließenden Bewegungen, mit denen er sich bewegte. Ganz gleich was es war, er hatte etwas an sich, was ihn geheimnisvoll erscheinen ließ, geheimnisvoll wie die Umgebung, in der er sich befand. Und so war Benjamin erst wieder in der Lage auszuatmen, als der Mann hinter dem Vorhang verschwunden war. Er war sich sicher, dass dieser Fremde selbst einen leisen Atemzug wahrgenommen hätte.
„Tja“, konnte er Jenna nun aus einiger Entfernung sagen hören, was dafür sprach, dass sie wohl in eines der angrenzenden Zimmer gegangen war, „gerade eben war sie noch da.“
„Vielleicht ist sie ja nur schnell etwas einkaufen gegangen“, sagte der Mann mit seiner tiefen, schmeichelnden Stimme.
Benjamins Blick wanderte zur Haustür. Jetzt oder nie! Die fünf Minuten waren längst um – was hielt ihn noch hier?
„Sie verstehen nicht“, sagte Jenna und klang jetzt wieder viel näher. „Sie war wirklich gerade noch da. Bevor sie an der Tür geklingelt haben, saßen wir hier und haben geredet. Und jetzt ist sie weg!“
Sie sprach eindeutig von der Hexe. Wer sonst konnte so plötzlich verschwinden? Aber wo war sie hin? Durch den Flur gekommen war sie auf gar keinen Fall – dann hätte Benjamin sie sehen müssen. Es sei denn… sie konnte sich unsichtbar machen. Ein schauerlicher Gedanke…
„Vielleicht wusste sie, dass ich es bin, der vor der Tür steht“, meinte der Mann.
„Na ja, angeblich hat sie ja hellseherische Fähigkeiten. Äh... womit ich natürlich nicht sagen will, dass meine Tante Sie nicht mag und Sie mit Ihrer Vermutung Recht haben. Ich kann mir das hier bloß nicht erklären.“
Hellsehen? Nein, das konnte nicht sein, denn dann hätte die Hexe auch gewusst, dass Benjamin da war und ihn längst gepackt und… er schüttelte sich. Was machte er überhaupt noch hier? Er hätte schon längst wieder draußen im Freien sein und mit seinen Freunden die mit Bravour bestandene Mutprobe feiern können. Aber wie viel cooler war es, wenn er geheime Gespräche belauschen und sich darüber mit seinen Freunden austauschen konnte?
Benjamin machte einen Schritt nach vorne und hielt inne. Er sah nach rechts zum Ausgang und dann wieder nach vorn zum Perlenvorhang. Noch hatte er die Chance sich zu entscheiden – noch war er unentdeckt und der Weg in die Freiheit offen…
Ganz leise schlich er näher an den Vorhang heran, bis er durch die Perlenschnüre die beiden Personen erkennen konnte, die sich dort unterhielten. Jenna stand unschlüssig im Raum, sich immer noch irritiert umsehend, und der Fremde ließ sich gerade auf der Couch nieder.
„Oh, es gibt viele Dinge, die wir mit unserem bloßen Verstand nicht begreifen können“, sagte er schmunzelnd. „Ich werde ganz einfach hier auf sie warten.“
Die junge Frau runzelte die Stirn. Ihr war anzumerken, dass ihr das nicht so recht gefiel und sie sich von dem Fremden gestört fühlte.
„Was wollen Sie denn von ihr? Vielleicht kann ich ihr etwas ausrichten. Das macht Ihnen nicht so viele Umstände.“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Wissen Sie, ich und Melina, wir kennen uns schon sehr lange. Das wird Ihnen vielleicht merkwürdig erscheinen, weil Ihre Tante Ihnen gewiss kein Wort davon erzählt hat, aber es ist so. Wir sind sozusagen alte Freunde.“ Er lächelte, wohl um ihr Vertrauen zu gewinnen. „Ab und zu treffen wir uns, um einen Tee zu trinken, in Erinnerungen zu schwelgen und eventuell ein Spiel zu spielen.“
„Dann waren Sie heute mit ihr verabredet?“
„Nein, nicht direkt. Wir machen nie einen Termin aus, keinen festen Zeitpunkt. Wir fühlen einfach, wann es mal wieder soweit ist. Und das letzte Mal ist schon so lange her.“ Er lachte kurz. Es war ein merkwürdiges Lachen, fast boshaft.
„Wie heißen Sie?“ fragte Jenna, die nun anscheinend neugierig geworden war.
„Spielt das eine Rolle?“ wich der Mann ihrer Frage aus. „Was sagen schon Namen über die Menschen aus, zu denen sie gehören?“
Jenna schien nun vollends
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