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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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alt. In meinem Alter ist man bei langfristigen Verträgen der Verlierer. Wenn ich eine Frau will, miete ich sie am besten pro Stunde.«
    Allerdings versucht er, nicht »in meinem Alter« zu sagen, nicht, wenn er wach ist. An guten Tagen glaubt er, dass ihm noch zwanzig Jahre bleiben. Oft denkt er, er wird Henry überleben, obwohl ihm solche Gedanken streng genommen nicht erlaubt sind. Es gibt ein Gesetz, das alle Spekulationen darüber verbietet, wie lange der König leben wird, so erfindungsreich sich Henry sein Leben lang im Ausloten von Möglichkeiten, einen frühen Tod zu finden, gezeigt haben mag. Er hatte verschiedene Jagdunfälle, und als Jugendlicher nahm er trotz eines Verbots an Turnieren teil: Das Gesicht unter dem Helm versteckt, die Rüstung ohne Abzeichen, bewies er sich wieder und wieder gegen die stärksten Männer auf dem Platz. Im Kampf gegen die Franzosen hat er sich ausgezeichnet, und sein Charakter ist, wie er oft sagt, ein kriegerischer. Zweifellos wäre er als Henry der Heldenhafte bekannt, aber Thomas Cromwell sagt, er kann sich keinen Krieg leisten. Dabei geht es nicht nur um die Kosten: Was wird aus England, wenn Henry stirbt? Zwanzig Jahre war er mit Katherine verheiratet, und in diesem Herbst werden es drei Jahre mit Anne; dennoch hat er nichts vorzuweisen als jeweils eine Tochter und einen Friedhof voller toter Babys, halb ausgebildet und in Blut getauft, einige lebend zur Welt gekommen, aber innerhalb von Stunden gestorben, von Tagen, höchstens Wochen. Der ganze Wirbel und die Unruhe, um die zweite Ehe möglich zu machen, und dennoch. Dennoch hat Henry keinen Sohn, der ihm nachfolgen könnte. Einen unehelichen Sohn hat er, den Herzog Harry von Richmond, einen strammen Sechzehnjährigen, doch was nützt ihm ein Bastard? Was nützt ihm Annes Kind, die kleine Elizabeth? Eine besondere Regelung müsste geschaffen werden, damit Harry von Richmond regieren kann, falls seinem Vater etwas Schlimmes widerfahren sollte. Er, Thomas Cromwell, versteht sich sehr gut mit dem jungen Herzog, aber diese Dynastie, noch so jung auf dem Thron, ist nicht sicher genug, um einen solchen Verlauf zu überleben. Einst waren die Plantagenets die Könige, und sie wollen die Krone zurück, sie denken, die Tudors sind ein Zwischenspiel. Auch die alten englischen Familien scharren mit den Hufen und sind bereit, ihre Ansprüche anzumelden, besonders seit Henry mit Rom gebrochen hat. Sie beugen das Knie, schmieden jedoch ihre Ränke. Fast kann er sie hören, versteckt zwischen den Bäumen.
    Sie könnten eine Braut im Wald finden, hat der alte Seymour gesagt. Als er die Augen schließt, steigt sie hinter seinen Lidern auf, mit Spinnweben verschleiert und nass von Tau. Ihre Füße sind nackt und in Wurzeln verfangen, das Federhaar fliegt in die Äste. Ihr lockender Finger ist ein gebogenes Blatt. Sie deutet auf ihn, als ihn der Schlaf übermannt. Seine innere Stimme macht sich über ihn lustig: Du dachtest, du würdest in Wolf Hall ausspannen können. Du dachtest, bis auf die gewohnten Angelegenheiten sei hier nichts von Belang, bis auf Krieg und Frieden, Hunger und verräterische Mitwisserschaft, bis auf den Ernteausfall, ein stures Volk, die Pest in London und einen König, der im Spiel sein Hemd verliert. Darauf warst du vorbereitet.
    Am Rande seiner inneren Wahrnehmung, hinter den geschlossenen Augen, spürt er, wie etwas entsteht. Mit dem Licht des Morgens wird es kommen, etwas, das sich bewegt und atmet und dessen Gestalt von einem Wäldchen oder Hain verborgen wird.
    Bevor er einschläft, stellt er sich den Hut des Königs auf einem mitternächtlichen Baum vor. Wie ein Paradiesvogel sitzt er da.
    Am nächsten Tag verkürzen sie, um die Damen nicht zu ermüden, den Tagessport und kehren früh nach Wolf Hall zurück.
    Ihm bietet das die Möglichkeit, seine Reitsachen abzulegen und sich um die Depeschen zu kümmern. Er hofft, dass sich der König für eine Stunde mit ihm zusammensetzen und sich anhören wird, was er ihm mitzuteilen hat. Aber Henry sagt: »Lady Jane, würden Sie mit mir einen Spaziergang durch den Garten machen?«
    Sie ist sogleich auf den Beinen, furcht jedoch die Stirn, als versuchte sie, sein Ansinnen zu verstehen. Ihre Lippen bewegen sich, und fast wiederholt sie seine Worte: einen Spaziergang … Jane? … durch den Garten?
    Oh, ja, natürlich, welche Ehre. Ihre Hand, ein Blütenblatt, schwebt über seinem Ärmel, senkt sich, und Fleisch berührt Stickerei.
    Wolf Hall hat drei Gärten, sie werden

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