Falken: Roman (German Edition)
foppend, schlendern sie zum Abendessen.
Der König hatte Whitehall in der Woche von Thomas Mores Tod verlassen, einer trüben, tropfnassen Woche im Juli, und auf dem Weg nach Windsor versanken die Pferdehufe des königlichen Trosses tief im Matsch. Seitdem sind sie in einem breiten Streifen quer durch die westlichen Counties gezogen. Die Helfer Cromwells stießen, nachdem sie die Geschäfte des Königs in London erledigt hatten, Mitte August zu Henrys Zug. Der König und seine Begleiter schlafen bestens in neuen Häusern aus rötlichem Ziegel, in alten Häusern, deren Befestigungen verfallen oder eingerissen sind, und in spielzeuggleichen Märchenschlössern, die niemals befestigt waren, mit Wänden, die von einer Kanonenkugel wie Papier durchschlagen werden können. England genießt seit fünfzig Jahren Frieden. Das ist der Schwur der Tudors: Frieden bieten sie. Jeder Haushalt ist bemüht, sich dem König von der besten Seite zu zeigen, und wir haben in diesen letzten Wochen einige panische Änderungen an Putz und Stuck gesehen, hastige Steinmetzarbeiten, mit denen sich die Gastgeber beeilten, die Rose der Tudors neben den eigenen Insignien sichtbar zu machen. Sie suchen und vernichten jede Spur von Katherine, der ehemaligen Königin, zerschmettern mit Hämmern die Granatäpfel des Hauses Aragón, die zerdrückten Überbleibsel und herumfliegenden Kerne. Und wenn die Zeit für eine Steinmetzarbeit fehlt, malen sie den Falken Anne Boleyns auf Türen und Giebel.
Hans hat sich ihnen unterwegs angeschlossen und eine Zeichnung von Anne, der Königin, angefertigt, aber sie gefiel ihr nicht. Wie gefällt man Anne dieser Tage? Hans hat auch Rafe Sadler gemalt, mit dem ordentlichen kleinen Bart und dem entschlossenen Mund, der modische Hut eine gefiederte Scheibe, die ihm unsicher auf dem Kopf mit dem kurzgeschorenen Haar sitzt. »Da haben Sie mir aber eine platte Nase verpasst, Master Holbein«, sagt Rafe, und Hans sagt: »Wie, Master Sadler, sollte es in meiner Macht stehen, Ihre Nase zu richten?«
»Er hat sie sich als Kind beim Ringaufspießen gebrochen«, sagt er, Cromwell. »Ich selbst habe ihn zwischen den Pferdehufen hervorgezogen, ein Häufchen Elend, das nach seiner Mutter weinte.« Er drückt Rafe die Schulter. »Kopf hoch, Rafe. Ich finde, du siehst sehr gut aus. Denk nur daran, was Hans mit mir gemacht hat.«
Thomas Cromwell ist jetzt um die fünfzig Jahre alt. Er hat den Körper eines Arbeiters: untersetzt, zweckdienlich, zu Fettleibigkeit neigend. Er hat schwarzes Haar, das langsam grau wird, und wegen seiner blassen, undurchlässigen Haut, die dazu gemacht scheint, Regen wie Sonne zu widerstehen, spotten die Leute, sein Vater sei Ire, obwohl er doch tatsächlich ein Brauer und Schmied aus Putney war, auch ein Scherer, ein Mann, der seine Finger in allem drin hatte, ein Schläger und Krakeeler, ein Säufer und Drangsalierer, einer, der immer wieder vor den Richter gezerrt wurde, weil er jemanden geschlagen oder betrogen hatte. Wie der Sohn eines solchen Mannes seine gegenwärtige Stellung erlangen konnte, ist eine Frage, die sich ganz Europa stellt. Manche sagen, er sei mit den Boleyns aufgestiegen, der Familie der Königin; andere, dass er es ganz dem verstorbenen Kardinal Wolsey, seinem Förderer, zu verdanken hat. Cromwell war Wolseys Vertrauter, verschaffte ihm Geld und kannte seine Geheimnisse. Wieder andere meinen, er bewege sich in der Gesellschaft von Hexenmeistern. Noch als Junge verließ er das Reich, wurde Söldner, Wollhändler, Bankier. Niemand weiß, wo überall er war und wen er getroffen hat, und er hat keine Eile, es den Leuten zu erzählen. Er schont sich nicht im Dienste des Königs, er weiß um seinen Wert und seine Verdienste und versichert sich seines Lohns in Form von Ämtern, Vergütungen und Eigentumsurkunden, Herrenhäusern und Gütern. Er hat seine Art, an sein Ziel zu gelangen, er hat eine Methode. Er beschwört einen Mann oder besticht ihn, zwingt ihn oder bedroht ihn, erklärt ihm, wo seine wahren Interessen liegen, und zeigt ihm Seiten seiner selbst, von denen er bislang nichts wusste. Jeden Tag hat der persönliche Sekretär des Königs mit Granden zu tun, die ihn, wenn sie könnten, mit einem rachsüchtigen Schlag vernichten würden, einer lästigen Fliege gleich. Das weiß er und zeichnet sich doch durch seine Höflichkeit aus, seine Ruhe und seinen unermüdlichen Einsatz für die Sache Englands. Er hat nicht die Angewohnheit, sich zu erklären. Er hat nicht die
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