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Falkengrund Nr. 29

Falkengrund Nr. 29

Titel: Falkengrund Nr. 29 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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wieder gegangen, und die Katze fand das Etwas auf Anhieb, brachte es herbei, und die gütige alte Göttin öffnete es und nahm eine neue Leckerei heraus.
    Diese Dinge sah sie in kurzen, hastigen Szenen. Ihr Hunger auf den Inhalt des Behältnisses wuchs. Sie beobachtete auch, wie der staubige Gott etwas anderes in der Pranke hielt. Es hatte beinahe keine Form und keinen eindeutigen Geruch. Es knisterte und raschelte, wenn der Gott es berührte, und es änderte sein Aussehen.
    „Geldinderzuckerdose“, sagte der Gott, und seine Stimme klang wie Donner. „Dasfindetjeder.“
    Isabel merkte sich diese drei Äußerungen: „Duverwöhnstsie“, „Geldinderzuckerdose“ und „Dasfindetjeder“. Sie spürte, dass sie die Macht hatte, sich viele gesprochene Dinge zu merken. Manchmal war ihr sogar, als hätte sie den Sinn dieser Dinge einst verstanden, so als wäre sie selbst von göttlicher Herkunft. Doch das interessierte sie nicht sehr. Sie sah mit den Augen einer Katze, empfand wie eine Katze, und sie wollte die Leckereien aus dem Behältnis kosten – also musste sie eine Katze werden, voll und ganz.
    Solange sie die Hülle trug, schien sie unsichtbar zu sein. Niemand nahm sie wahr. Das würde sich gewiss ändern, sobald sie die Katze aus sich herausgeschält hatte.
    Die Schmerzen waren wundervoll. Sie badete darin wie in einem Jungbrunnen. Die erste Schicht abzuziehen, schmerzte nur ein wenig, die zweite war schon qualvoller, und die dritte versetzte sie in schiere Ekstase.
    Während sie die Schmerzen genoss, lief der Film der Erinnerung um sie herum weiter ab. Strebte einem unglaublichen Höhepunkt entgegen.
    Die Göttin bewegte sich nicht mehr. Der schreiende Kasten brüllte weiter auf sie ein, doch sie regte sich nicht. Die flammende Katze kam, um von der Göttin gefüttert zu werden, doch die Göttin wollte davon nichts mehr wissen. Sie hatte sich verändert, war geworden wie ein Fels.
    Die Katze ging und kam wieder. Ging und kam. Die Göttin blieb hart und steif. Etwas in ihr war erloschen, das Universum hatte sie ausgespuckt. Der zweite, der staubige Gott, kam nicht herein. Die Katze stürzte sich auf den schreienden Kasten, und zunächst gelang es ihr nicht, ihn zu besänftigen, doch dann tanzte sie hinter dem Kasten einen verzweifelten Tanz, und ein grelles Licht vom Anfang der Schöpfung durchzuckte die ganze Welt.
    Und der schreiende Kasten verstummte.
    Isabel zerrte an ihrer dritten Hülle und sah durch die Tränen des Schmerzes hindurch, wie die flammende Katze auf dem Schoß der Göttin saß und fraß. Das besondere war, dass die Göttin ihr noch immer nichts aus dem Behälter gegeben hatte. Er war weiterhin verschlossen. Die Katze hatte ihn herabgeworfen, ihn jedoch nicht öffnen können.
    Die Katze hatte nichts zu fressen bekommen und fraß trotzdem.
    Wie stellte sie das an?
    Es war ein göttliches Mysterium.
    Isabel wünschte sie mehr und mehr, wie sie zu sein.
    Die Katze fraß und fraß, wie von Sinnen fraß sie, und die Göttin verwandelte sich dabei, veränderte ihre Gestalt. Vor allem änderte sich der Geruch innerhalb der Welt. Der Geruch wurde ein solcher, dass der staubige Duft des zweiten Gottes eine Wohltat gewesen wäre.
    Der staubige Gott kam lange Zeit nicht.
    Irgendwann kamen andere Götter in die Welt, beanspruchten sie für sich.
    Vorher hatte die flammende Katze etwas Interessantes getan. Sie hatte den Behälter, in dem stets ihre Leckereien gewesen waren, mitgenommen.
    Wohin mitgenommen?
    Das wusste sie nicht. Irgendwann hatte es einen Punkt gegeben, an dem die Katze selbst zu einer Art Göttin wurde. An dem die Gesetze der Welt nicht mehr für sie galten. Isabel sah, wie sie durch Barrieren schritt, durch Dunkelheit, durch Festigkeit, durch Stellen, wo es keine Welt gab. Sie ging, wohin sie wollte. Und einmal nahm sie den Behälter mit. Versteckte ihn irgendwo.
    Isabel nahm sich vor, ihn zu finden, wenn sie erst eine Katze war.
    Und dann ging die Veränderung auch mit ihr selbst vor. Noch ehe sie sich ganz aus ihrer Hülle geschält hatte, tauchten ihre Hände in die Grenzen der Welt ein.
    Ihr Körper schimmerte rot und feucht. Ein dicker Saft kam aus ihrem Inneren. Ein Zeichen vielleicht, dass sie reif war. Reif, eine Katze zu werden und alles zu tun, was sie tun wollte.
    Sie unterbrach ihre Befreiungsaktion und griff mit den Händen durch die Ränder ihrer Welt hindurch. Es funktionierte. Was sie für den Erdboden gehalten hatte, für etwas Festes, Massives, war mühelos zu

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