Falkengrund Nr. 29
und war in das kleine Wohnzimmer gekrochen, das sich an den Flur anschloss, so war sie dort erst einmal sitzen geblieben, hatte nach links und rechts gestarrt. Ihre Miene hatte maßlose Faszination ausgedrückt, obwohl es dort nichts zu sehen gab. Das Zimmer lag verlassen da, die nüchterne Büroeinrichtung bot nichts, was diesen Gesichtsausdruck auch nur ansatzweise rechtfertigte.
Wenig später hatte ihr Körper zu zucken begonnen, als ob sie vorhatte, etwas zu tun, sich jedoch nicht dazu entschließen konnte.
„Die Katze zeigt ihr etwas“, hatte Jaqueline ihre Sprache wiedergefunden. „Sie zeigt ihr, wo das Geld versteckt ist.“
„Es ist hier? Im Wohnzimmer?“ Dorothea hatte die Blicke nicht von Isabel zu nehmen vermocht. „Vielleicht zeigt sie ihr etwas ganz anderes. Woher sollen wir wissen, worüber Katzen erzählen, wenn man sie lässt?“
In diesem Moment änderte sich die Situation schlagartig. Isabel hob ihre Hände und starrte darauf. Ihre Fingernägel wuchsen zusehends! Dorothea trat einen Schritt zurück.
Noch ehe Jaqueline eine Erklärung versuchen konnte, verkrallte sich Isabel mit den zentimeterlangen Nägeln in ihren eigenen Oberschenkeln. Ihr Gesicht verzerrte sich, und sie zerriss die lederne Hose! Die beiden Studentinnen wagten nicht nachzudenken, welche rohe Gewalt dazu notwendig war. Warum brachen die Nägel bei dieser Belastung nicht ab?
Isabel schälte das Leder von ihren Beinen. Natürlich war bei der Aktion auch ihre Haut nicht verschont geblieben. Tiefe rote Wunden hatten sich in ihr Fleisch gegraben, aus denen sofort Blut strömte. Mit einem animalischen Knurren zerriss Isabel die Lederstreifen und schleuderte sie von sich. Als nächstes zerfetzte sie die schwarze Bluse, die ihren Oberkörper verhüllte. Unterwäsche kam zum Vorschein – und dort, wo diese bereits in Fetzen war, konnte man erneut blutige Haut erkennen.
„Sie hat den Verstand verloren!“ Dorothea streckte zögernd die Hände vor, um sie zurückzuhalten.
Jaqueline drängte sie zur Seite. „Vorsicht! Diese Krallen sind scharf wie Messerklingen. Ein Hieb damit kann dir die Kehle durchtrennen!“
„Aber wir können doch nicht zulassen, dass sie …“
„Wir lassen es nicht zu.“ Jaqueline hatte nach einem Stuhl gegriffen, und nun hielt sie ihn an einem Bein vor sich, wie es Raubtierdompteure manchmal taten. So näherte sie sich Isabel. Diese schien den Stuhl nicht wahrzunehmen. Selbst als Jaqueline ihr die Lehne in den Magen drückte, reagierte sie nicht darauf, versuchte nicht, ihn wegzudrücken oder sich gegen den Angriff zur Wehr zu setzen.
Ihr Geist befand sich voll und ganz in der anderen Realität. Wenn sie mit den Händen versehentlich gegen das Holz des Stuhls schlug, versuchte sie es unbeirrt wieder und wieder, und schließlich wurde das Möbelstück Jaqueline aus der Hand gerissen und flog polternd in die Ecke des Zimmers. Jaqueline machte einen Satz über die noch immer mit sich selbst beschäftigte Isabel hinweg. Griff ein zweites Mal nach dem Stuhl.
„Es ist sinnlos“, wandte Dorothea ein.
„Das werden wir sehen.“ Diesmal schlug Jaqueline zu. Mit der Lehne des Stuhles zielte sie auf Isabels Hüfte. Der Hieb würde sie nicht verletzen, aber vielleicht aus dem Konzept bringen.
Auf das, was dann geschah, konnten Jaqueline und Dorothea nur mit einem heiseren Stöhnen reagieren. Der Stuhl traf Isabel nicht. Er ging durch sie hindurch wie durch ein Trugbild.
Jetzt sahen sie auch, dass der Stuhl nicht der einzige Gegenstand war, der dieses Schicksal erlitt. Isabel hatte sich auf die Stelle zu bewegt, wo der Schreibtisch stand. Ihr Kopf ragte ein Stück weit in das Möbelstück hinein, fast genau zur Hälfte, und als sie ihren Mund ein wenig öffnete, war die Holzwand zu sehen, die geradewegs durch ihren Rachen verlief. Als sie sich etwas drehte, verschwand auch ihre Schulter im Inneren des Tisches. Es war schwer zu sagen, ob sie es war, die durchlässig war, oder das Möbel. Sie befand sich in einer anderen Dimension, und es war ein Wunder, dass sie überhaupt noch zu sehen war.
Inzwischen hatte sie sich nahezu komplett entblößt. Ein Teil ihres Unterhemds hing noch zerfetzt über ihrer Schulter, und ihre Füße steckten noch in den hochhackigen schwarzen Schuhen. Das umgekehrte Kruzifix, das sie als Ohrhänger trug, hatte sie sich abgerissen. Ein breiter Blutstrom rann an der Seite ihres Halses herab, und überall an ihrem Körper sickerte oder lief der rote Lebenssaft aus den Wunden,
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