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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Bauch eines lebendigen Wesens greifen musste. Er wollte es ihm so ekelhaft und grauenvoll wie möglich machen …
    Darum ging es nämlich. Das Ganze war eine riesige Falle, alles zusammen, eine Falle, die nur einen einzigen Zweck hatte:
    Ihn zu quälen.
    Ihn bis an die Grenze dessen zu treiben, was sein Verstand ertragen konnte.
    In diesem Haus drehte sich alles nur um ihn. Um seine Schuld. Um seine Angst.
    Um seine geistige Gesundheit.
    Sir Darren erkannte das. Und plötzlich wurde er ruhig. Die Spannung wich von ihm.
    Er zog seine Hände von dem Sarg zurück.
    „Ruhe in Frieden“, sagte er leise. „Ich muss dich nicht quälen. Ich brauche den Schlüssel nicht. Er würde mich ohnehin nicht in die Freiheit bringen. Außerhalb der Tür würden nur neue Schrecken auf mich warten.“
    Die Lippen des Satans zuckten. Sie stammelten etwas, was Aramäisch oder irgendeine andere ihm unbekannte Sprache sein mochte. Dann sagten sie in feinstem Queen’s English : „Mach es dir nicht zu einfach! Das hier ist kein Traum. Du kannst nicht daraus erwachen. Du hast es schon versucht.“
    „Nein“, erwiderte Sir Darren. „Es ist kein Traum, aber etwas sehr ähnliches. Es ist ein dummes Schmierentheater, und irgendwann wird es ein Ende haben. Ich kann warten. Weißt du, mein Freund, ich habe zweihundert Jahre darauf gewartet, mein Leben fortzusetzen. Das hat meine Geduld gestählt. Du kannst mir die Zeit noch verkürzen, indem du aus deinem Sarg steigst und einen Cancan für mich tanzt … oder was du sonst so an Kunststückchen parat hast.“
    „Du machst einen Fehler.“
    Der Dozent nickte gedankenschwer. „Das ist wohl mein Schicksal. Ich scheine ausschließlich Fehler zu machen. Aber das ist meine Sache. Kein Sadist soll sich daran ergötzen, wenn ich leide. Eines habt ihr alle hier vergessen: Ich habe einen Stolz, und der ist größer als meine Angst.“
    Er setzte sich auf den Rand des Sarges und ließ die Beine baumeln.
    Wartete darauf, dass das Theater vorüberging.
    Er kam sich sehr klug dabei vor. Sehr losgelöst und überlegen.
    Was er nicht wusste, war, dass er sich damit in tödliche Gefahr brachte …

10
    The Attack
    Ophelia Winterborn erledigte ihre Arbeit in Zimmer 6 tapsig und unkonzentriert. Sie stieß mit dem Staubsauger überall an, bekam die Laken nicht glatt und zerriss zwei Mülltüten bei dem Versuch, sie über den Abfalleimer zu ziehen. Ihre Gedanken beschäftigten sich unablässig mit dem, was sie in dem Raum mit der Nummer 5 gesehen hatte.
    Eben war sie dort gewesen, um das Zimmer zu machen – eine allmorgendliche Routine seit über zwanzig Jahren. In dieser langen Zeit war ihr so manches Ungewöhnliche passiert. Natürlich gab es immer Gäste, die auch um zehn Uhr noch in den Federn lagen. Man traf auch schon mal auf Pärchen, die so innig miteinander beschäftigt waren, dass sie ihr Klopfen nicht hörten und ihre Spiele auch nicht unterbrachen, während sie mit dem Hoover um das Bett kreiste. In solchen Fällen verstand sie es, diskret zur Seite zu sehen und mit ihrer Arbeit fortzufahren. Man war ja schließlich britisch.
    Aber so etwas wie heute hatte sie noch nie erlebt.
    Der Gast von Zimmer 5 lag quer in seinem Bett, in einem karierten, völlig durchgeschwitzten Pyjama, und hatte offenbar einen schlimmen Albtraum. Immer wieder flatterten seine Lider, er stieß unartikulierte Laute aus, verzerrte das Gesicht, drehte sich auf der Matratze im Kreis, krallte die Finger in das Laken, das er fast völlig abgezogen hatte. Selbstverständlich hatte Ophelia versucht, ihn zu wecken, und das mehr als einmal. Sie probierte die ganze Palette durch, von sanftem Berühren an der Schulter bis hin zu kraftvollem Rütteln. Und Ophelia war eine Frau, die zupacken konnte.
    Der Gast wurde kurzzeitig ruhiger, erwachte jedoch nicht.
    Sie fragte sich, ob sie jemanden rufen sollte, aber der Manager weilte gerade außer Haus, und seine schwindsüchtige Tochter, die derweil an der Rezeption hockte und ihre Musikzeitschriften las, würde keine Hilfe sein.
    Ratlos verließ sie das Zimmer. Sie würde erst alle anderen Räume fertig machen und dann noch einmal nach Nummer 5 zurückkehren.
    Doch es kam anders. Als sie in Nummer 6 eben die Fenster schließen wollte, vernahm sie von nebenan einen durchdringenden Schrei. Fast zeitgleich gab es einen Schlag, der das im Leichtbaustil errichtete Haus erzittern ließ. Ophelia wich einen Schritt zurück, verhedderte sich am Stromkabel des Hoovers, das sie noch nicht eingezogen

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