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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Millimeter weit, spannte und entspannte die Muskulatur, bewegte die Beine ein kleines Stück. Er stöhnte wie ein Tier. Irgendwann hatte er es geschafft, seine Füße über den Kabelhaufen zu bringen. Er ließ sie herab und verschnaufte. Nach mehreren Versuchen gelang es ihm, seinen linken Fuß unter eine Kabelschlinge zu manövrieren, so dass er das Kabel mitziehen konnte, wenn er mit dem Stuhl wieder durch den Raum ruckte. Schon nach einem halben Meter war er schweißnass. Seine Kehle brannte, sein Magen knurrte, ein bestialischer Druck lag auf seiner Blase, von dem er wusste, dass er ihn bald entlassen musste, wenn Lewerz nicht kam und ihn auf eine Toilette setzte. Dennoch durfte Lewerz nicht kommen. Nicht, ehe die Falle fertig war.
    An einem Ende lief das Kabel in einer Klemme aus. Diese Klemme am Rollstuhl zu befestigen, war die nächste Hürde. Eine nahezu unerfüllbare Aufgabe. Sie mit den Füßen aufzunehmen und dabei zusammenzudrücken, war aussichtslos, also öffnete er sie durch einen Druck mit der Ferse, kippte sie etwas an und versuchte mit den Rädern des Stuhls so nahe an sie heranzufahren, dass sie sich in einer der Speichen verhakte und sich dann dort schloss.
    Nach fünfzig Anläufen gab er auf. Er entleerte seine Blase. Verschnaufte. Versuchte die Pfütze zu ignorieren, in der er saß, und vor allem nicht daran zu denken, dass die Nässe den Strom hervorragend leiten würde. Wenn sein Plan aufgehen sollte, durfte Lewerz erst kommen, sobald alles getrocknet war.
    Die Pause gab ihm neue Kraft. Die Tatsache, dass Lewerz sich nicht blicken ließ, machte ihm frischen Mut. Er begann wieder mit den Versuchen, und diesmal klappte es auf Anhieb. Er kicherte hysterisch, und Tränen der Rührung liefen über seine Wangen. Die Klemme hatte sich in den Speichen festgebissen und würde sich so leicht nicht mehr lösen.
    Der schwierigste Teil allerdings lag noch vor ihm.
    Er musste den Stecker ein kleines Stück weit in die Dose bekommen, und das, ohne den Kontakt zum Strom herzustellen. Gerade so weit, dass er ihn bei Bedarf mit einem kurzen Tritt hineinstoßen konnte.
    Diesmal ging es nicht um Schmerzen, um Ohnmachtsanfälle oder gefüllte Blasen. Es ging um Leben und Tod.
    Minutenlang korrigierte er die Position des Rollstuhls, eine Sache, in der er inzwischen Routine hatte. Die Räder standen auf dem Kabel. Das war gut so, denn so wurde es fast vollständig von dem Stuhl verdeckt. Falls Lewerz an der richtigen Stelle stand und nicht zu genau hinsah.
    Der Stecker mit den zwei Kontakten hatte sich unter Kabelschlingen verkrochen, und es brauchte viel Überzeugungsarbeit, ihn dort herauszubekommen. Holger zitterte am ganzen Körper. Selbst mit gesunden Beinen wäre es mühsam gewesen, den Stecker einzupassen. Er testete verschiedene Techniken. Es gelang ihm, den Stecker so auf seinen linken Schuh zu legen, dass die Schnürsenkel sein Herabfallen verhinderten. Langsam bewegte er sich mit den Kontakten auf die Steckdose zu. Angst und Schwäche ließen das Zittern noch schlimmer werden. Eilig bugsierte er den rechten Fuß auf den linken.
    Der Stecker lag an. Fügte sich in die Öffnung.
    Ich werde sterben , dachte Holger. Durch meine eigene Hand. Besser als durch diesen Wahnsinnigen. Geschieht dem Kerl gerade recht. Aber was ist, wenn er gar nicht vorhat, seine Drohung wahr zu machen? Wenn er mir nur Angst einjagen, mich demütigen möchte?
    Mit dem linken Fuß übte er leichten Druck auf den Stecker aus. Leicht genug? Zwischen dem Rollstuhl und der Steckdose gab es nun ein Kabel. Ein kurzer, schwacher Kontakt – und die Sache würde vorüber sein.
    Holgers Kopf zuckte, Schweiß troff von seinem Kinn. Mehr Feuchtigkeit. Mehr Nässe, um die Isolierung wirkungslos zu machen. Selbst wenn es ihm gelang, Lewerz ins Jenseits zu befördern, würde Holger ihn begleiten. 230 Volt, und er saß klatschnass in einem Metallstuhl …
    Es war ihm, als höre er in der Wand den Drachen namens Elektrizität fauchen. Seine Zähne kratzten an der Steckdose, sein Maul schnappte nach den Stiften.
    Und dann war da ein wirkliches Kratzen.
    Ein Schlüssel im Schloss der Tür.
    Nein! Es durfte nicht Lewerz sein! Rettung – Polizei – eine Vermieterin, jemand, der ihn gefunden hatte. Egal, aber nicht Lewerz! Nicht, nachdem er Stunde um Stunde diese Schmerzen ertragen, seinen Schweiß eimerweise vergossen, das absolut Unmögliche bewältigt hatte!
    Seine Füße zuckten, berührten dabei den Stecker. Holger war sich so sicher, dass der

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