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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Lust?“ Ihr Blick fiel auf einen weißen Spitzen-BH, der ausgebreitet in einem der Regale lag. Grünbraune Grasflecken überzogen ihn. Kein Blut. Sie atmete tief durch, ohne innezuhalten. Dieses Regal … kannte sie nicht. „Hast du Lust?“, wiederholte die Stimme. „Bist du alleine? Ganz alleine? Hast du Lust?“
    Sie ertappte sich dabei, wie sie zur Antwort den Kopf schüttelte. Ihre Blicke sprangen zwischen den Reihen hin und her. Viel Unterwäsche, Berge von Damenslips und BHs, dann plötzliche graue Trenchcoats an Kleiderbügeln, Hunderte davon, kaum auseinander zu halten. Eine Armee grauer Trenchcoats. Wieder ein Flüstern: „Zweitausend. So eine reine Ware hast du noch nie gesehen. Und wenn du nicht zahlen kannst, finden wir eine Lösung. Wir finden eine. Wir haben immer eine gefunden.“
    Wo war der Ausgang? Hatte sie sich wirklich verlaufen, oder hatte sie diese Dinge einfach nur … übersehen? Sie kannte die Antwort, aber sie gefiel ihr nicht. Sie fühlte sich wie ein Kleinkind, das im größten Kaufhaus der Stadt seine Mutter verloren hatte. Nach Wegweisern suchte man hier vergeblich. Die Halle war riesig. Befand sie sich überhaupt noch in dem Raum, in den sie ihr Führer gebracht hatte?
    Diese Stimmen – sie sagte sich, dass ihr von ihnen keine Gefahr drohte. Es war nur ein Flüstern, mehr nicht. Womöglich hatte sie ja einen Sinn für so etwas, konnte all den Schmerz empfinden, dessen Zeuge diese Gegenstände wurden. Das Phänomen war gruselig, aber es tat einem nichts. In einer halben Stunde auf der Rückfahrt würde sie es mit Margarete diskutieren und einige interessante Informationen darüber bekommen.
    Die Kälte war schlimm. Es war, als würde sie nie wieder zurückfahren. Als würde sie hier in dieser gewaltigen Gruft erfrieren und begraben sein. Es war eine riesige Grabkammer, voller Dinge, die mit Tod und Leiden zu tun hatten.
    „Ich werde schreien“, hauchte sie im Selbstgespräch. „Das können die anderen hören, egal, wie weit sie weg sind.“
    „Lieber nicht“, gab eine hohle Stimme raschelnd zurück. „Wenn du schreist, weckst du alle auf. Und das willst du doch nicht, oder, Kleine? Willst du mit deinem Schrei alle wecken? Willst du, dass Mama und Papa dich so sehen? Willst du, dass sie sehen, was du und der Onkel tun? Willst du das? Nein, also bleib schön still. Es ist gleich vorbei … ooooh …“
    Sanjay begann zu rennen. Sie tat es, um die Stimme loszuwerden. Tatsächlich verwehte der Klang, als sie sich von der Stelle entfernte, wo sie am lautesten gewesen war. Aber aus dem vielschichtigen Flüstern schälten sich ständig neue Personen hervor.
    „Neeeiiiiiin!“ Aus weiter Ferne drang das panische Kreischen einer Frau an ihre Ohren. „Nimm das weg! Nimm das weg!“
    Ihre Blicke streiften Löt- und Schweißgeräte. Ein Dutzend davon. Uralte und nagelneue. Kanister mit den unterschiedlichsten Aufschriften. Öl. Benzin. Gasflaschen. Gasmasken.
    „Es ist so heiß!“, schrie die sich überschlagende Stimme. „So heiß!“
    Kalt , dachte Sanjay. Es ist eiskalt, und ich erfriere. Ihre langen dunklen Haare hielten ihren Kopf wie in einer Klammer aus Eis gefangen.
    „Ich verbrenne!“, wimmerte die Stimme. „Du musst … das löschen … oder … Mein Gott! Mein Gott!“
    Sanjay bog nach rechts ab, dann nach links. Das Schreien der Frau entfernte sich. Sie strauchelte und rappelte sich wieder auf, lief weiter. Kisten mit Dokumenten bildeten lange Reihen. Fotos, Schriftstücke. Das Stimmengewirr war undurchdringlich, wie auf einer Party mit Hunderten von Gästen. Sie kam von einer Abteilung in die nächste, ohne es zu merken. In welcher Richtung befand sich der Lift? Wie konnte sie ihn verfehlt haben?
    Keuchend blieb sie stehen. Über ihr heulte die Air Condition wie ein Polarsturm. Sie schlotterte, ihre Zähne klapperten aufeinander.
    „Ich muss langsamer gehen“, formten ihre zitternden Lippen die Worte. „Muss mich konzentrieren. Es gibt keinen Anlass zur Panik.“ Aus welchen Gründen auch immer – auch sie konnte nur flüstern. Ganz, als wäre sie schon eine der ruhelosen Seelen geworden, die zu Hunderten, vielleicht zu Tausenden diese unterirdische Totenstadt bevölkerten. Ahnte niemand etwas davon? Wusste niemand, welches Leben noch in diesen Objekten war? Hatte Wim Scherz bei seinen Rundgängen niemals gestockt und über die Schulter gesehen, weil er glaubte, etwas gehört zu haben?
    „Ich werde die ganze Familie ausrotten“, krächzte eine Stimme ganz in

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