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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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sich von ihr fern, dann musste er sie wieder sehen. Irgendetwas sagte ihm, dass sie sich die Kleider vom Leib riss, sobald die Tür hinter ihr zugefallen war. Dass sie den Stuhl nicht benutzte, dass sie sich nicht auf das Bett legte, sondern auf dem Teppichboden auf alle Viere ging, unruhig im Raum umherstreifte wie ein eingesperrter Panther und vor dem Bett liegend schlief, nicht langgestreckt, sondern eingerollt.
    Die Afrikaner glaubten an Gestaltwandler, Werlöwen, Werleoparden, an Menschen, die sich in Tiere verwandeln konnte. In Emils Augen standen schwarze Afrikaner ohnehin an der Schwelle vom Tier zum Menschen. Und das meinte er nicht einmal im rassistischen Sinne. Er konnte an den Leuten hier keine Ähnlichkeit zum Affen erkennen, wie tumbe Rassisten sie manchmal beschworen. Nein, er sah in den schwarzen Gesichtern die stolze Raubkatze, den prachtvollen Vogel, die mächtige Riesenschlange. Die wundervollsten und zugleich gefährlichsten Tiere, die der Dschungel und die Savanne zu bieten hatten – sie alle fanden sich wieder in den Mienen der Afrikaner. Wenn er sich dagegen selbst vor den Spiegel stellte, musste er an eine blasse, eiterweiße Riesenkröte denken, die plump und träge am Grunde eines lichtlosen Gewässers darauf wartete, dass ihr faulige Nahrung in den Mund fiel.
    Es war früher Nachmittag. Draußen zog ein Gewitter vorüber. Trockener Donner rüttelte immer heftiger an den Säulen des Firmaments, und Regenfahnen peitschten in unregelmäßigen Abständen gegen die Villa. Auch in der Trockenzeit gab es vereinzelt Gewitter und Regenfälle. Dies war ein solcher Tag. Emil stand vor Amonkes Tür. Sie hatte sich den Tag über kaum sehen lassen, war, wie es ihm schien, vor seinen Blicken geflohen.
    Ob sie sich verwandelte? Ob das Fell schon auf ihrem Körper spross, ausgehend von dem schwarzen Schamdreieck, das er nie richtig gesehen, aber tausend Mal erahnt hatte? Er wusste, dass sie sich in ihrem Zimmer aufhielt. Er hörte sie darin schaben und kratzen, und er glaubte sie sogar riechen zu können.
    Von dem Moment an, da er die Tür öffnete, wurde alles unwichtig. Die tausend feuchten Träume, in denen sie die Hauptdarstellerin gewesen war, eine schwitzende, kreischende, sabbernde, fetischtragende Hure in blütenweißer Wäsche – sie waren belanglose Vergangenheit.
    Amonke stand genau in der Mitte der Raumes, die Arme zur Seite ausgestreckt, den Kopf in den Nacken gelegt, eine verwunschene, fluchbeladene Statue, ein malaria-bringendes, kehle-zuschnürendes fünftausend heiße Tropenjahre altes Idol.
    Das Bett sah aus, als hätte ein Alligator dort gewütet. Die Matratze zerrissen, Laken, Decken, Kissen in Fetzen über den Boden verstreut.
    Das alles hätte er ertragen können. Er wäre in das Büro seines Vaters gerannt und hätte mit weinerlicher Stimme wie ein kleiner Junge gerufen: „Das schwarze Zimmermädchen, Papa, es ist übergeschnappt! Es hat aus seinem schönen europäischen Zimmer eine schmutzige, kotige Dschungelhütte gemacht. Tu etwas, damit es weggeht, Papa, wir können es nicht mehr bei uns halten! Wilde Tiere werden wahnsinnig, wenn sie in Gefangenheit leben müssen.“
    Doch der Zustand von Zimmer und Bett war das kleinste Problem. Der Zustand dieser Frau war es, was man so schwer akzeptieren konnte …
    Amonkes Kopf war nach oben gewandt, ihr Mund geöffnet. Weit geöffnet. Schlangen konnten ihre Kiefer aushängen, um ihre Beute zu verschlingen. So ähnlich sah es aus. Nur, dass das Mädchen nichts verschlang, sondern im Gegenteil etwas ausspuckte. Dicke, mit Warzen übersäte Auswüchse zuckten aus ihrer Kehle und tasteten in der Luft umher. Sie waren rotbraun, und die längsten leckten an der Decke. Amonkes Augen hatten einen starren Blick angenommen, Tränen rannen heraus. Sie schien Schmerzen zu leiden, doch was immer da aus ihrem Inneren drang, war stärker als sie, kontrollierte sie, hielt sie aufrecht, ließ nicht zu, dass sie zusammenbrach. Sie war nicht nackt, und sie hatte kein Fell, aber die Kleidung klebte an ihrem schweißnassen Körper.
    „Helft mir!“ Emil schrie, und das klappte erstaunlich gut. Obwohl sein Körper wie in einem Eisblock gefangen war, funktionierten seine Sprechwerkzeuge, und sein Hilfeschrei gellte gedehnt durch die Villa.
    Amonkes Kopf ruckte herunter, die tentakelartigen Schläuche wippten in seine Richtung. Emil stand genau im Türrahmen. Sein linkes Knie gab nach, und er kippte ein wenig zur Seite, doch der Rahmen hielt ihn. Die in die

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