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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Personals ging, aber angespannt und unwirsch im direkten Umgang mit diesen Leuten. In seiner Villa pflegte der Fabrikant, der seit zehn Jahren erfolgreich im boomenden nigerianischen Erdölgeschäft mitmischte, europäisches Flair – vom Interieur über die Kleidung bis zum täglichen Speiseplan kam ihm nichts traditionell Afrikanisches ins Haus. Mit einer scharfen Schere hatte er ein Stück Schweden einfach ausgeschnitten und in die Landkarte Westafrikas eingesetzt.
    Der 43-jährige, den ein jungenhaftes, sommersprossiges Gesicht wie einen Twen wirken ließ, versetzte der Tür zum Geräteschuppen einen Tritt, und sie schwang quietschend auf. Das Notstromaggregat kauerte auf dem Boden, wie ein Tier, dem man Asyl gewährt hatte. Nicht bei jedem der häufigen Stromausfälle machte er sich Mühe, das lärmende, stinkende, Diesel saufende Monster zu aktivieren, aber manchmal ließ es sich nicht vermeiden. Die Nacht brach herein. Sie würden elektrisches Licht brauchen. Außerdem hatte er vor dem Zubettgehen noch etwas am Computer zu arbeiten. Und seine Tochter Emma würde maulen, wenn der Fernseher nicht funktionierte. Sie verfolgte Soaps aus halb Afrika, auch solche, deren Darsteller kein Englisch sprachen.
    Der ganze Schuppen erzitterte, als der Generator stotternd anlief. Missmutig schloss Ekson die Tür hinter sich und stampfte zur Villa zurück. Für die Stromversorgung war die Nigerian Electric Power Authority NEPA zuständig. Der Volksmund allerdings schrieb den vier Lettern der Abkürzung eine andere Bedeutung zu: Never Expect Power Always – erwarte nicht, dass es ständig Strom gibt … Und daran war viel Wahres. Wenn es schlimm war, standen sie tagelang ohne Saft da.
    Auf dem Weg vom Schuppen zum Haus wartete jemand. Es war nicht Sunday. Der Koch machte sich gewiss wieder in der Villa nützlich, in deren Fenster nun das unstete, vom Generator genährte Licht flackerte.
    Eine Frau. Sie trug ein braunes Kleid, das ihr viel zu groß war, sonst nichts. Ihre Füße waren nackt, die Zehennägel abgebrochen und schmutzig. In ihrem Gesicht tummelten sich die Narben wie Barsche in einem fischreichen Fluss, das Haar auf ihrem Kopf wuchs nur wenige Millimeter lang. Alles Gründe, um sie nicht auf den ersten Blick zu erkennen.
    „Mister Ekson“, sagte sie. Er kam näher, sah sie an.
    „Wer schickt Sie?“, fragte er. „Und wer zum Henker hat Sie hereingelassen?“ Das Grundstück war von einem zwei Meter hohen Zaun umgeben, das Tor stets verschlossen. Ab und zu kletterten diese dunklen Menschen darüber, und sie sah aus, als wäre es ihr zuzutrauen.
    „Sunday hat mir geöffnet. Sie kennen mich nicht mehr.“ Eine Feststellung, resigniert und traurig, aber mit gesenktem Kopf, gänzlich ohne Tadel. Sie war eine Frau, die wusste, was sich den weißen Herren gegenüber gehörte.
    „Doch, ich erinnere mich“, erwiderte er automatisch, und als er das ausgesprochen hatte, erkannte er sie tatsächlich. Es war Amonke, eines der beiden Zimmermädchen. Aber sie war erst zwanzig, und sie hatte lange, zu Dutzenden von Zöpfchen geflochtene Haare gehabt! „Was ist mit dir geschehen?“, fragte er sich tonlos. „Wo warst du?“
    Eilig dachte er nach. Vor beinahe zwei Monaten war Amonke ohne jede Spur verschwunden. Von einer dieser belanglosen Besorgungen in der Stadt war sie nicht mehr zurückgekehrt. Er entsann sich noch, wie sie eine Woche lang jeden Tag am Esstisch darüber diskutiert hatten, welchem Verbrechen sie zum Opfer gefallen sein mochte. Emma stimmte für eine Entführung, seine Frau fürchtete, das arme Dinge könne getötet worden sein und irgendwo in einer Gosse liegen, und sein Sohn Emil, der ein Auge auf sie hatte, behauptete natürlich, die schnuckelige Kleine sei von Zuhältern geschnappt worden. In Lagos musste man alles und noch mehr in Betracht ziehen – auch dass das Mädchen aus einer Laune heraus einfach weggelaufen war, ließ sich nicht ausschließen. Täglich strömten etwa tausend Menschen in die größte Stadt Westafrikas, und viele davon kehrten eines Tages ernüchtert, müde und hungrig in ihre Heimatdörfer zurück, weil sie das Leben in diesem Moloch nicht mehr ertrugen. Natürlich galt das gewöhnlich nicht für Mädchen wie Amonke, die eine ordentliche Anstellung bei einer guten europäischen Familie gefunden und damit ihren Traum verwirklicht hatten.
    Andererseits konnte man nie wissen. Afrikaner waren unberechenbar, fand Ekson. Manchmal waren sie mit Armut zufrieden und mit Reichtum

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