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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Gesicht der Frau zu erkennen.
    „Rupe?“ Enene schnappte nach Luft. „Moment! Ich verstehe nicht. Das muss doch wohl ein Scherz sein …“
    „Wir werden eine Tragevorrichtung an den Käfig bauen. Dann können Sie sie mitnehmen.“
    Mit offenem Mund stand Enene da und konnte nur tatenlos zusehen, wie die Männer sich an die Arbeit machten.

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    5° 49’ 12’’ östlicher Länge
    6° 52’ 40’’ nördlicher Breite
    Auf der Karte war unter diesen Koordinaten nichts verzeichnet. Die Angaben verwiesen auf einen Punkt in einem kaum besiedelten Hügelland abseits der Städte und Ortschaften.
    „Eine unscheinbare Gegend“, erklärte Omoba, einer der beiden Männer, die Enene von Kula erhalten hatte. „Savanne. Gebüsch, kleine Wäldchen, viele Tiere.“ Omoba war ein gedrungener Mann mit kantigem Schädel. In seinem Mundwinkel klemmte stets eine müde vor sich hin glimmende Selbstgedrehte. Er saß zusammen mit einem schlaksigen, immerzu grinsenden Kerl namens Baduwi auf dem Rücksitz. Bruder Quirinius hatte auf dem Beifahrersitz platzgenommen, Enene steuerte den Wagen. In Lagos hatte er sein bisheriges Fahrzeug in einen zerbeulten weißen Van umgetauscht. Im Laderaum war der Käfig mit Rupe untergebracht und klapperte bei jeder Bodenwelle. Die Frau hatte sich zunächst gebärdet wie eine Bestie, doch als man ein Tuch über ihren Käfig gebreitet hatte, war sie erstaunlich ruhig geworden.
    Der Autoverleiher hatte einen Blick unter das Tuch werfen wollen, während die Männer dieses ungewöhnliche Gepäckstück umluden, und erst ein stattliches Schweigegeld sorgte dafür, dass er sofort das Interesse verlor. Anfangs hatten Omoba und Baduwi sich häufig umgedreht und nach Rupe gesehen. Mittlerweile taten sie das kaum noch.
    Die Fahrt auf der A 121 nach Osten verlief angenehm. Die Straße zählte zu den besten in Nigeria. Die Menge der Schlaglöcher blieb im erträglichen Rahmen, und wären da nicht die vielen Autowracks am Straßenrand und die zahlreichen Radfahrer und Fußgänger auf dem Seitenstreifen gewesen, hätte man beinahe den Eindruck bekommen können, auf einer europäischen Autobahn unterwegs zu sein. Nach zwei Stunden verließ der weiße Van die bequeme Strecke bei Ore, fuhr eine Weile auf einer Nebenstraße nach Norden und wechselte dann auf eine holprige, unbefestigte Buckelpiste.
    Wie der Wagen durchgeschüttelt wurde, gefiel der Frau im Käfig nicht. Sie machte sich durch lautstarkes Brüllen bemerkbar.
    „Was für ein Mensch war sie vorher?“, erkundigte sich Enene, während er mit der schlechten Kupplung kämpfte.
    Die beiden Männer auf dem Rücksitz wussten keine Antwort. „Wir haben sie vorher nicht gekannt“, erklärte Baduwi, ohne sein Grinsen abzulegen. Enene nannte ihn bei sich den Buddha Afrikas. Natürlich wusste er, dass die meisten echten Buddhas nicht grinsten, höchstens unverbindlich lächelten.
    Fast vier Stunden waren sie unterwegs gewesen und hatten dabei wenig gesprochen. Auch Bruder Quirinius war sehr schweigsam geworden, je näher sie ihrem Ziel kamen. Enene hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, als sie einen Hügel überwanden und in ein flaches Tal hinabblickten. Fast genau in der Mitte des Tals gab es einen graugrünen Fleck, der nicht nach einem Werk der Natur aussah. Je näher sie ihm kamen, desto deutlicher trat die rechteckige Form hervor. In einigen hundert Metern Entfernung gab es ein paar Yamsfelder, die von den Seiten her von dürren gelben Pflanzen überwuchert wurden. Die Felder waren verlassen worden. Warum?
    „Ist das der Ort?“, fragte Enene, den Kopf leicht nach hinten drehend.
    „Das ist er.“ Omoba sah nicht aus dem Fenster. Er wirkte angespannt.
    „Was könnte das sein? Eine Lagerhalle?“
    „Eine Fabrik.“ Baduwi klebte am Seitenfenster. „Autozubehör.“
    „Mitten in dieser Einöde?“ Kaum hatte er gefragt, kamen sie an einem verwitterten Schild vorbei. Die schlichte Aufschrift lautete LISTON CAR PARTS.
    Baduwi erzählte, was er wusste. „Ich glaube, es begann als Entwicklungshilfeprojekt. Es sollte noch mehr Geld fließen – man wollte einen ganzen Komplex anlegen, und gleich eine kleine Ortschaft dazu, da drüben, wo die Bäume abholzt wurden. Dann ging irgendetwas schief. Die Hilfe wurde eingestellt, das Gebäude verlassen.“
    „Und die Schatten haben sich darin eingenistet.“ Enene fand das mächtig bizarr. Dass Entwicklungshilfe mitunter in dunkle Kanäle floss oder eigenartige, nicht beabsichtigte Folgen hatte, war ihm

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