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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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bekannt. Dass das Schicksal sich entschieden hatte, mit Spendengeldern den Unterschlupf dieser dämonischen Wesen zu finanzieren – das hatte schon etwas.
    Die Sonne wanderte unbeirrt auf den Horizont zu. Ihnen würden noch zwei Stunden Helligkeit zur Verfügung stehen, nicht mehr. In diesem Tal schien sich die Hitze des Tages zu stauen. Auf der Westseite gab es mehrere Wäldchen, doch die spendeten keinen Schatten. Enene troff der Schweiß vom Kinn. Während Rupe immer unruhiger wurde und mit den Füßen gegen die Stäbe zu treten begann, war Bruder Quirinius unnatürlich still geworden.
    „Was sagen Sie?“, versuchte Enene ihn herauszufordern. „Sieht das wie das Tor zur Hölle aus?“
    Doch der Mönch blieb stumm. Mit halb geschlossenen, seltsam starren Augen fixierte er das Gebäude, auf das sie zusteuerten. In der weiten Senke hatte es zunächst nicht besonders groß gewirkt, jetzt allerdings wuchs es zu einem beachtlichen Stück Beton heran. Es war ein Flachbau, nur zwei Stockwerke hoch, aber an der Längsseite mochte es gut und gerne dreihundert Meter messen.
    „Da hinten!“, rief Omoba. „Da ist es passiert!“
    Enene verkniff sich die Frage, was dort passiert war, und kurbelte am Lenkrad. Die prallen Reifen rieben über den sandigen Untergrund. Am westlichen Ende der Fabrik schien es eine Explosion gegeben zu haben. Ein riesiges Stück Wand war herausgebrochen, die Trümmerteile viele Meter weit nach außen geschleudert worden. Zwischen den Betonstücken lagen auch Fragmente aus Metall, verbogene Stahlträger, Maschinenteile.
    „Ein Unfall?“, murmelte Enene.
    Omoba drehte sich ein neues Stäbchen. „Ein paar Leuten muss die Flucht gelungen sein. Keine Ahnung, wie sie es geschafft haben, die Wand wegzusprengen.“
    Enene schluckte. „Ist es überhaupt sicher, wenn wir hier anhalten?“
    Omoba zuckte nur die Schultern und steckte sich die neue Zigarette in den Mund. Baduwi und der Mönch schwiegen ebenfalls. Rupe kroch unruhig in ihrem Käfig hin und her und stieß leise, hechelnde Laute aus wie ein Hund. Enene parkte den Wagen zwanzig Meter von der zerstörten Wand entfernt, griff unter den Sitz. Dorthin hatte er den Revolver gelegt, den Kula ihm geliehen hatte. Die beiden Kalaschnikows hatten Omoba und Baduwi zwischen sich auf dem Rücksitz deponiert. Jetzt stiegen sie aus und hängten sich die Waffen um.
    „Kommen Sie, Bruder?“, lud Enene ein, und als der Mönch langsam und ungelenk aus dem Auto rutschte, sprang er ebenfalls hinaus. Augenblicklich überfiel ihn ein eigenartiges Gefühl. Es war schwer zu definieren. Ein summendes Geräusch schien in der Luft zu liegen, nur knapp oberhalb der Hörschwelle, und Enene vergewisserte sich, ob es sich nicht um die Kühlung des Vans handelte. „Hören Sie das?“, wandte er sich an Baduwi. Er und sein Kumpan sahen gefährlich aus mit den Gewehren, und sie schienen es zu genießen.
    „Maschinen“, sagte Baduwi nur. Er stakste zwischen den Trümmern hindurch auf das Loch zu. Enene folgte ihm. Die meisten Pflanzen waren tot, verkohlt, ausgerissen, zerdrückt. Ein paar Dornen hatten sich bereits wieder erholt und schoben ihre frischen gelbgrünen Triebe in alle Richtungen. Die Wand war hier über die gesamten zwei Stockwerke herausgebrochen. Ein Blick ins Innere offenbarte zunächst nicht viel: Ein Gewirr aus ineinander verhakten Schrottteilen bildete einen zufälligen Sichtschutz. Baduwi wagte sich mutig heran und entfernte mit Seelenruhe einige der Bruchstücke. Rechts und links von ihm fielen Teile herab, doch ihm geschah nichts.
    Als der Mann minutenlang ins Innere gespäht hatte, ohne die anderen von dem, was er sah, zu unterrichten, ging Enene ebenfalls hin und riskierte einen Blick.
    Und dann verstand er, warum Baduwi keinen Bericht erstattet hatte. Was da zu erkennen war, ließ sich nur schwer beschreiben. Er hatte den Eindruck, nicht in einen Raum zu sehen, sondern ins Innere einer Maschine. Auf den ersten Blick gab es kein Oben und Unten. Die Trümmer gingen nahtlos in eine Welt aus Metall über, Fußboden, Decke und Wände waren nicht auszumachen. Es dominierten gerundete Formen. Ringe, Scheiben, Kugeln und Spiralen bildeten im Zusammenspiel mit gekrümmten Röhren und eigenwillig geformten Schalen ein organisches Ganzes, dessen Sinn und Zweck nicht zu erraten war. Verschiedene Metallarten glommen silbern und golden oder brüteten bleiern stumpf vor sich hin. Bis zu diesem Punkt konnte man noch an menschliche Erbauer denken – und sei es,

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