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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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und zog sie sofort wieder zurück. Die Frau hatte sich nicht bewegt. Er versuchte es erneut, und diesmal katapultierte sie sich regelrecht nach vorne, schnappte mit den Zähnen nach ihm. Er war einen Sekundenbruchteil schneller, und ihre Zähne streiften ihn nur. Enene schüttelte sich und wischte ihren Speichel ab, mit dem er bespritzt worden war.
    Den Zettel konnte er jetzt nicht mehr erkennen. Vermutlich saß sie darauf. Mit etwas Pech wurde er zerrissen oder völlig zermalmt. Oder die Aufschrift löste sich bei der Berührung mit ihrem schweißüberströmten Körper einfach auf.
    Warum hier? , fragte er sich immer wieder. Hat der Schreiber angenommen, dass ich zu ihr zurückkehren würde? Sehe ich aus wie jemand, der Gefallen an einem solchen Monsterweib findet? – Der Ausdruck „Monsterweib“ tat ihr Unrecht. Selbst schmutzig, schwitzend und geifernd stellte sie noch eine Schönheit dar.
    Was er brauchte, war ein Stock oder eine Stange. Damit konnte er sie in eine Ecke des Käfigs drängen und mit der freien Hand nach dem Zettel greifen. Enene erinnerte sich an einen Holzstapel, den er in der Nähe gesehen hatte. Dort lagen auch lange Stöcke übereinander und warteten darauf, zersägt zu werden.
    Er lief dorthin, probierte ein Dutzend der Stöcke durch, bis er einen gefunden hatte, der ihm stabil erschien und der außerdem an einem Ende eine Gabelung aufwies. Als er damit zum Käfig zurückkehren wollte, sah er Kula nahen. Blitzartig warf er den Stock hinter die nächste Hütte, und zu dem Zeitpunkt, da Kula ihn wahrnahm, hatte er nichts mehr in den Händen. Der Regisseur des bizarren Films hob die Schultern, als wolle er sagen: „Was treibst du dich noch hier herum?“, doch er schwieg und war kurz darauf wieder verschwunden.
    Hastig lief Enene mit dem Stock zum Käfig, vor dem Bruder Quirinius noch immer geduldig hockte und in sicherem Abstand und mit ganz und gar nicht mönchshaftem Interesse die nackte Frau beobachtete. Vielleicht entsprach sie seinem Frauenbild, ein vom Teufel besessenes Weibsstück, unzivilisiert und gefährlich, wie die Frauen im Christentum manchmal dargestellt wurden.
    Enene stach den Stock zwischen zwei Gitterstäben hindurch, und sie warf sich sofort dagegen. Es knackte, doch der armdicke Stock hielt es aus. Enene zog ihn zurück, wartete eine Sekunde, und als sie ihren Kopf zornig hob, stieß er noch einmal zu. Diesmal fand der Stock seinen Weg dorthin, wo Enene ihn haben wollte, nämlich an ihrem Hals. Mit aller Kraft, die in seinen Muskeln steckte, schleuderte er die Frau gegen die Rückwand des Käfigs, ehe sie sich wegducken konnte. Ihr Kopf knallte gegen die Gitter, so heftig, dass er betete, ihr nicht den Schädel gebrochen zu haben. Für einen Moment verschleierten sich ihre Augen, doch sie verlor das Bewusstsein nicht. Sofort schlossen sich ihre Hände um den Stock, und mit einem lautstarken Brüllen, in dem Wut und Schmerz steckten, versuchte sie das Holz zu zerbrechen. Fraglos würde ihr das auch gelingen – unklar war nur, ob sie dafür zwei oder zwanzig Sekunden benötigen würde. Die Gabelung am Ende des Stabs drückte ihr die Luft ab. Sie kämpfte um ihr Leben, konnte ja nicht wissen, dass er es nicht so weit kommen lassen würde.
    Enenes Blicke suchten den Boden nach dem Zettel ab. Er war verschwunden!
    Klebte er an ihrem Körper? Da war nichts zu erkennen, aber natürlich konnte er nur einen Teil davon sehen, und in dem Käfig herrschte ungünstiges Zwielicht.
    Während er den Stock festhielt, stieß er mit den Füßen nach den Abdeckungen aus Wellblech. Nach einigen Versuchen löste sich eine davon und kippte klappernd zu Boden. Auch als Dach fungierten zwei zusammengeheftete Streifen Wellblech. Diese setzten sich von alleine in Bewegung, als eine der Wände fehlte. Helles Sonnenlicht fiel ein, Rupe schien für einen Augenblick irritiert.
    „Sehen Sie was?“, rief Enene verzweifelt. Der Bruder antwortete nicht. Enene hörte jetzt Stimmen aus dem Hintergrund. Ein paar Dorfleute liefen zusammen. „Hey!“, beschwerte sich einer von ihnen. „Was machst du mit Rupe?“
    Enene sah seine Felle davonschwimmen. Der Zettel war weg, die Frau im Begriff, den Stock zu zerbrechen, und die Kavallerie eilte zu ihrer Rettung. Schon wich die Kraft aus seinen Armen, und die Bestie drohte freizukommen, da fiel sein Blick auf ein winziges grauweißes Etwas, das unter dem verklebten Sand hervorlugte. Das Papier!
    Noch einmal schmetterte er die vom Sauerstoffmangel geschwächte

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